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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sollen«, sagte sie. »Ich habe nicht vor, dich um Verzeihung für das alles zu bitten, Harry, das wäre wohl ein bisschen viel verlangt von dir. Aber sagen wollte ich es dir, von Angesicht zu Angesicht, das ist das Mindeste, damit du es verstehst. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich heute Nacht zu dir gefahren bin. Um dir zu sagen, dass ich das alles aus dummer, blinder Verliebtheit getan habe. Das hat mich bestechlich gemacht. Dabei dachte ich, ich wäre nicht bestechlich.« Sie legte den Kopf in die Hände. »Ich habe dich verraten, Harry. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außer vielleicht, dass der Verrat an mir selbst noch schlimmer schmerzt.«
    »Wir sind alle bestechlich«, sagte Harry. »Nur zu unterschiedlichen Preisen und Währungen. Deine ist die Liebe. Meine die Betäubung. Und weißt du was …«
    Der Wasserkessel meldete sich wieder, dieses Mal eine Oktave höher.
    »… Ich glaube, das macht dich im Vergleich mit mir zu einem besseren Menschen. Kaffee?«
    Er drehte sich ganz um und starrte die Gestalt an. Sie stand direkt vor ihm, regungslos, als stünde sie schon lange dort, wie sein eigener Schatten. Es war vollkommen still, er hörte nur seinen eigenen Atem. Dann ahnte er eine Bewegung, etwas, das im Dunkel angehoben wurde, gefolgt von einem leisen Zischen in der Luft. Im selben Moment hatte er einen seltsamen Gedanken, nämlich dass diese Gestalt tatsächlich sein eigener Schatten war und dass er …
    Der Gedanke geriet ins Stocken, wie ein Bruch in der Zeit, eine Unterbrechung der Bildübertragung.
    Überrascht starrte er vor sich hin und spürte einen warmen Tropfen Schweiß über seine Stirn rinnen. Er sagte etwas, aber die Worte ergaben keinen Sinn, als gäbe es eine Fehlschaltung zwischen Hirn und Mund. Wieder hörte er das leise Zischen. Dann verstummte das Geräusch. Alle Geräusche. Jetzt hörte er nicht einmal mehr seinen eigenen Atem. Dafür bemerkte er, dass er kniete und das Telefon neben ihm auf dem Boden lag. Ein weißer Streifen Mondlicht zog sich vor ihm über die Dielen, verschwand aber, als der Schweißtropfen seinen Nasenrücken erreichte, ihm in die Augen rann und ihm die Sicht nahm. In dem Augenblick realisierte er, dass es kein Schweiß war.
    Der dritte Schlag fühlte sich wie ein Eiszapfen an, der ihm durch Kopf und Hals in den Körper getrieben wurde. Alles erstarrte vor Kälte.
    Ich will nicht sterben, dachte er und versuchte, den Arm schützend über seinen Kopf zu heben. Aber er war nicht mehr in der Lage, ein einziges Glied zu bewegen, und verstand, dass er gelähmt war.
    Den vierten Schlag nahm er nicht mehr wahr, aber dem Holzgeruch entnahm er, dass er mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Er blinzelte ein paarmal und konnte auf einem Auge schließlich wieder sehen. Direkt vor sich erkannte er ein Paar Skischuhe. Langsam kamen auch die Laute wieder; sein eigener, keuchender Atem, der Atem des anderen, ruhig, das Tropfen des Blutes von seiner Nasenspitze auf den Boden. Er hörte die Stimme, es war nur ein Flüstern, aber die Worte klangen, als schrie er sie ihm ins Ohr: »Dann sind wir nur noch einer.«
    Als die Uhr im Wohnzimmer zweimal schlug, saßen sie noch immer in der Küche und redeten.
    »Der siebte Mann«, sagte Harry und goss ihr Kaffee nach. »Schließ die Augen. Wie stellst du ihn dir vor? Schnell, denk nicht nach!«
    »Er ist voller Hass«, sagte Kaja. »Zornig. Unausgeglichen, unangenehm. So ein Typ, wie ihn Frauen wie Adele treffen, abchecken und wieder wegstoßen. Er hat Stapel von Pornos und Filmen zu Hause.«
    »Warum glaubst du das?«
    »Ich weiß nicht. Weil er Adele gebeten hat, in Schwesternkleidern in einer leeren Fabrik aufzutauchen.«
    »Mach weiter.«
    »Er ist feminin.«
    »Warum das?«
    »Tja, hohe Stimme. Adele hat gesagt, seine Stimme hätte sie an ihren schwulen Mitbewohner erinnert.« Sie hob die Tasse an die Lippen und lächelte. »Vielleicht ist er aber auch ein Schauspieler. Mit heller Stimme und Kussmund. Der Name dieses Machoschauspielers mit der femininen Stimme ist mir im Übrigen noch immer nicht eingefallen.«
    Harry prostete ihr mit seiner Tasse zu. »Und was ist mit der Szene, die Elias Skog nachts draußen vor der Hütte beobachtet hat? Wer waren die beiden? War er tatsächlich Zeuge einer Vergewaltigung?«
    »Marit Olsen war es auf jeden Fall nicht«, sagte Kaja.
    »Hm. Wieso?«
    »Weil sie die einzige Dicke in der Hütte war. Die hätte Elias erkannt und vermutlich auch ihren Namen genannt, als er davon

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