Leopard
an den Ermittlungsleiter, Kriminaloberkommissar Mikael Bellman.«
Bellman räusperte sich. Es waren tatsächlich alle gekommen. Die Fernsehsender hatten die Genehmigung erhalten, ihre Mikrophone auf dem Podiumstisch aufzubauen.
»Danke. Lassen Sie mich mit einem kleinen Dämpfer beginnen. Ihrem zahlreichen Erscheinen und den gespannten Gesichtern entnehme ich, dass wir mit unserer Einladung zu dieser Pressekonferenz möglicherweise die Erwartungen etwas zu hoch geschraubt haben. Erwarten Sie keine Verkündung eines Durchbruchs bei unseren Ermittlungen.« Bellman sah die Enttäuschung in den Gesichtern und vernahm das eine oder andere genervte Stöhnen. »Wir sind hier, um dem von Ihnen geäußerten Wunsch nachzukommen, Sie fortlaufend zu informieren. Es tut mir also leid, wenn Sie heute Wichtigeres vorhatten.«
Bellman lächelte schief, hörte einige Journalisten lachen und wusste, dass ihm vergeben war.
Dann fasste er den Stand der Ermittlungen kurz und bündig zusammen. Das heißt, er wiederholte die wenigen Erfolge, die sie zu verzeichnen hatten, wie das Seil im Mordfall Mark Olsen, das in einer Seilerei am Lyseren aufgespürt worden war, das Auffinden eines weiteren Mordopfers, Adele Vetlesen, und die Identifizierung der Mordwaffe, mit der zwei der Morde begangen worden waren, des sogenannten Leopoldsapfels. Altes neu verpackt. Er sah einen der Journalisten ein Gähnen unterdrücken. Mikael Bellman schaute auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Sein Manuskript. Das Manuskript für ein kleines Drama, Wort für Wort niedergeschrieben. Gewissenhaft in der Gruppe abgewogen und durchgegangen. Nicht zu viel, nicht zu wenig, der Köder sollte riechen, aber nicht stinken.
»Zum Schluss zu den Zeugen«, begann er und sah, wie sich das Pressekorps in seinen Stühlen aufrichtete. »Wie Ihnen bekannt ist, haben wir diejenigen, die sich in derselben Nacht wie die Mordopfer in der Hävasshütte aufgehalten haben, aufgefordert, sich zu melden. Daraufhin hat eine Person namens Iska Peller bei uns angerufen. Sie wird heute Abend mit einem Flug aus Australien in Oslo eintreffen und morgen mit einem unserer Ermittler zur Hävasshütte rausfahren, um dort den Tatabend zu rekonstruieren, so weit das möglich ist.«
Im Normalfall hätten sie natürlich niemals den Namen der Zeugin bekanntgegeben, aber in diesem speziellen Fall ging es ja gerade darum, dass der eigentliche Adressat dieser Pressekonferenz – der Mörder – mitbekam, dass die Polizei eine Person von der Gästeliste ausfindig gemacht hatte. Bellman hatte keinen besonderen Nachdruck in das Wort »einem« gelegt, als er von einem Ermittler sprach, aber genau das war die Intention. Zwei Personen, die Zeugin und ein Ermittler. In der Hütte. Mitten in der Einöde. »Wir hoffen natürlich, dass Frau Peller uns eine detaillierte Beschreibung der anderen Gäste an diesem Abend geben kann.«
Sie hatten eine lange Diskussion über die genaue Wortwahl geführt. Es sollte angedeutet werden, dass die Zeugin den Mörder zu Fall bringen könnte. Zugleich war Harry der Meinung gewesen, es sei wichtig, das Augenmerk nicht zu sehr darauf zu lenken, dass die Zeugin mit nur einem Ermittler dorthin fuhr. Ihm kam es mehr darauf an, dass die zusammenfassende Einleitung »zum Schluss zu den Zeugen« und das später folgende entdramatisierende »hoffen natürlich« signalisierte, dass die Polizei diese Zeugin bislang nicht als sonderlich wichtig einstufte und ergo keine größeren Sicherheitsmaßnahmen für nötig erachtete. Der Mörder sollte darüber natürlich anders denken.
»Was soll sie Ihrer Meinung nach gesehen haben? Und würden Sie bitte den Namen der Zeugin buchstabieren?«
Ninni beugte sich vor, um daran zu erinnern, dass die Fragestunde im Anschluss stattfand, aber Mikael Bellman schüttelte abwehrend den Kopf.
»Wir werden sehen, woran sie sich erinnert, sobald sie aus der Hävasshütte zurück ist«, sagte Bellman in das Mikrophon mit dem Logo des öffentlich-rechtlichen Staatssenders NRK. »Sie wird mit einem unserer routiniertesten Ermittler dorthin fahren und sich vierundzwanzig Stunden dort aufhalten.«
Er sah Harry Hole an, der im hinteren Bereich des Raumes stand und verhalten nickte. Das Wesentliche war gesagt. Vierundzwanzig Stunden. Der Köder war ausgeworfen. Bellmans Blick glitt weiter. Fand den Pelikan. Sie hatte als Einzige protestiert, fand es unerhört, überhaupt in Erwägung zu ziehen, die Presse wissentlich hinters Licht zu führen.
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