Leopard
Bellman hatte sie in einem Vieraugengespräch überzeugen müssen, bevor sie sich der Mehrheit angeschlossen hatte.
Als Ninni die Fragerunde eröffnete, kam Leben in die versammelten Journalisten, während Bellman sich entspannte und darauf einstellte, vage und schwammige Antworten zu geben und auf den immer wieder nützlichen Satz zurückzugreifen: »Darauf können wir in der derzeitigen Phase der Ermittlungen leider nicht näher eingehen.«
Seine Beine waren kalt, so kalt, dass sie ganz gefühllos waren. Wie konnte das angehen, wo der Rest des Körpers doch lichterloh brannte. Er hatte geschrien, bis seine Stimme versagt hatte. Seine Kehle war trocken, ausgetrocknet, aufgerissen, eine offene Wunde mit zu rotem Staub verbranntem Blut. Es stank nach versengten Haaren und Fleisch. Der Ofen hatte sich durch das Flanellhemd und die Haut in seinen Rücken gefressen, während er schrie und schrie, und war mit ihm verschmolzen. Er fühlte sich wie ein Zinnsoldat. Als der Schmerz und die Hitze sich in sein Bewusstsein fraßen und er endlich, endlich in eine Art Ohnmacht glitt, wurde er mit einem Ruck aus dem Dämmerzustand gerissen. Der Mann hatte einen Eimer kaltes Wasser über ihm ausgegossen. Die augenblickliche Linderung ließ ihn aufschluchzen. Er hörte das Zischen des verdampfenden Wassers zwischen seinem Rücken und dem Ofen und fühlte die Schmerzen mit frischer Kraft zurückkehren. »Mehr Wasser?«
Er schaute hoch. Der Mann stand mit einem neu gefüllten Eimer vor ihm. Der Nebelschleier vor seinen Augen lichtete sich, und für wenige Sekunden sah er ihn ganz deutlich. Der Flammenschein aus den Lüftungslöchern des Ofens tanzte über sein Gesicht und brachte die Schweißperlen auf seiner Stirn zum Glitzern.
»Es ist ganz einfach. Ich will nur wissen, wer? Jemand von der Polizei? Oder einer von denen, die in der Nacht in der Hävasshütte waren?«
Schluchzend presste er heraus: »Welche Nacht?«
»Du weißt genau, welche Nacht. Sie sind tot. Fast alle. Komm schon.«
»Ich weiß nicht. Ich hab nichts damit zu tun, glaub mir. Wasser. Bitte. Bitte …«
»… Bitte? Bitte … wie in
Bitte?«
Der Geruch. Dieser Gestank seines eigenen verbrannten Fleisches. Er stieß die Worte in einem heiseren Flüstern aus: »… nur ich.«
Sanftes Lachen. »Clever. Du tust so, als wärst du bereit, alles zu sagen, um dem Schmerz zu entkommen. Und ich soll dir glauben, dass es niemand anderen gibt, mit dem du zusammenarbeitest. Ich weiß aber, dass du noch mehr aushältst. Du bist einer von der zähen Sorte.«
»Charlotte …«
Der Mann schwang den Feuerhaken. Er spürte den Schlag nicht einmal. Ihm wurde nur für eine selige Sekunde schwarz vor Augen. Dann war er zurück in der Schmerzhölle. »Die ist tot!«, brüllte der Mann. »Lass dir was Besseres einfallen.«
»Ich meine die andere.« Er erinnerte sich doch, hatte ein gutes Gedächtnis, warum ließ es ihn jetzt im Stich? War er wirklich so schwer verletzt. »Sie kommt aus Australien …«
»Du lügst!«
Seine Augen fielen zu. Eine neue Wasserdusche. Ein Augenblick der Klarheit. Die Stimme: »Wer? Wieso?«
»Töte mich! Gnade! Ich … Du weißt, dass ich niemanden beschütze. Herrgott, warum sollte ich?«
»Ich weiß gar nichts.«
»Warum bringst du mich nicht einfach um? Ich hab sie umgebracht. Hörst du? Tu es! Die Rache gehört dir.«
Der Mann stellte den Eimer ab, ließ sich auf den Sessel fallen, lehnte sich nach vorn, die Ellenbogen auf die Armlehnen und das Kinn auf die Fäuste gestützt, und sagte ganz langsam, als hätte er nicht zugehört und wäre mit seinen Gedanken ganz woanders: »Weißt du, von diesem Augenblick habe ich so viele Jahre geträumt. Und jetzt, jetzt sind wir hier … Ich hatte gehofft, es würde besser schmecken.«
Der Mann schlug ihn noch einmal mit dem Feuerhaken. Legte den Kopf schräg und musterte ihn. Dann stach er ihm mit mürrischer Miene prüfend mit der Spitze in die Seite.
»Vielleicht mangelt es mir ja an Phantasie? Vielleicht fehlt diesem Gericht ja die richtige Würze?«
Irgendetwas veranlasste den Mann, sich umzudrehen. Zum Radio, das leise lief.
Er stand auf und stellte es lauter. Nachrichten. Stimmen in einem großen Raum. Die etwas über die Hävasshütte sagten. Eine Zeugin. Rekonstruieren. Er fror schrecklich, spürte seine Beine nicht mehr. Er schloss die Augen und betete zu seinem Gott. Nicht, dass er ihn von seinen Schmerzen befreite, wie er es bis jetzt getan hatte. Er bat um Vergebung, dass Jesu Blut ihn
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