Leopard
Neuschnee knirschte, als der Mann sich abstieß und die letzten Meter zur Hütte glitt. Er blieb stehen und lauschte ein paar Sekunden lang der Stille. Dann schnallte er lautlos seine Skier ab. Er zog das große, schwere Samenmesser mit der bootförmigen, beängstigenden Klinge und dem gelben, glattlackierten Holzschaft. Dieses Messer war ebenso gut dafür geeignet. Zweige für ein Feuer zu kappen wie ein Ren aufzubrechen. Oder jemandem die Kehle durchzuschneiden.
Der Mann öffnete die Tür, so leise er nur konnte, und trat in den Flur. Blieb stehen und lauschte an der Tür zum Wohnraum. Stille. Zu still? Er drückte die Klinke nach unten und schob die Tür mit einem Schwung auf, während er selbst mit dem Rücken an der Wand neben dem Türrahmen stehenblieb. Dann – um so kurz wie möglich als minimales Ziel zu dienen – trat er tief gebeugt und mit gezücktem Messer in den Raum.
Er erblickte den Körper des Toten, der mit hängendem Kopf auf dem Boden saß, die Arme noch immer um den Ofen geschlungen. Er steckte das Messer zurück in die Scheide und schaltete das Licht neben dem Sofa an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es das gleiche Sofa wie in der Hävasshütte war. Sicher bekam der Fremdenverkehrsverband Mengenrabatt. Aber der Bezue war alt, die Hütte war seit Jahren geschlossen, sie lag zu gefährlich, etliche Menschen waren bei schlechtem Wetter auf der Suche nach der Hütte in eine Felsspalte oder einen Abgrund gestürzt. Der Kopf des Toten am stählernen Ofen hob sich langsam.
»Tut mir leid, dass ich einfach so reinplatze.« Er versicherte sich, dass die Fesseln, mit denen er die Hände des Toten auf der anderen Seite des Ofens gefesselt hatte, noch richtig saßen.
Dann begann er, seinen Rucksack auszupacken. Er hatte die Mütze tief in die Augen gezogen, bevor er in den Gemischtwarenladen in Ustaoset gegangen war. Kekse, Brot und Zeitungen. Sie schrieben noch immer über die Pressekonferenz. Und über die Zeugin in der Hävasshütte.
»Iska Peller«, sagte er laut. »Australierin. Sie ist in der Hävasshütte. Was meinst du? Hat sie etwas gesehen?«
Die Stimmbänder des Toten vermochten kaum die Luft in Schwingung zu versetzen: »Polizei. Polizei in der Hävasshütte.«
»Das weiß ich doch. Steht in der Zeitung. Ein Beamter.«
»Die sind da. Die Polizei hat die Hütte gemietet.«
»Aha?« Er sah den Toten an. Hatte die Polizei ihm eine Falle gestellt? Und versuchte dieses Schwein, das da vor ihm saß, tatsächlich, ihm zu helfen, um so seine erbärmliche Haut zu retten? Der Gedanke machte ihn wütend. Aber die Frau musste doch etwas gesehen haben, andernfalls hätten sie sie wohl kaum aus Australien hierhergeholt? Er griff nach dem Schürhaken. »Mein Gott, wie du stinkst. Hast du etwa in die Hose gemacht?«
Der Kopf des Toten fiel wieder auf seine Brust.
Allem Anschein nach war er hier eingezogen. In den Schubladen waren ein paar persönliche Dinge von ihm. Ein Brief. Das eine oder andere Werkzeug. Ein paar alte Familienbilder. Sein Pass. Als wäre der Tote auf der Flucht, an einen anderen Ort. Einen anderen Ort als die Flammenhölle, in der er für seine Sünden büßen sollte. Obwohl der Gedanke, dass der Tote vielleicht doch nicht für all das Übel verantwortlich war, ihn gestreift hatte. Es gab Grenzen, wie viel Schmerzen ein Mensch ertragen konnte, bevor er zu reden begann.
Er überprüfte erneut sein Telefon. Kein Netz. Verdammt!
Dieser Gestank! Er sollte ihn im Vorratshaus zum Trocknen aufhängen. So machte man das doch mit geräuchertem Fleisch.
Kaja war in ihr Schlafzimmer gegangen, und Harry hoffte, dass sie ein bisschen schlafen konnte, bevor ihre Wache begann.
Kolkka goss Kaffee in seine und dann in Harrys Tasse.
»Danke«, sagte Harry und starrte ins Dunkel.
»Holzskier«, sagte Kolkka, der am Kamin stand und Harrys Skier unter die Lupe nahm.
»Sind von meinem Vater«, antwortete Harry. Er hatte die Skiausrüstung in Oppsal im Keller gefunden. Die Stöcke waren neu und aus irgendeiner Metalllegierung, die weniger als Luft wog. Harry hatte einen Moment lang überlegt, ob der Hohlraum des Stocks vielleicht mit Helium gefüllt war. Aber die Skier waren noch immer die alten, breiten Fjellskier.
»Als ich klein war, haben wir jedes Jahr Ostern in Großvaters Hütte in Lesja verbracht. Meinen Vater zog es immer wieder auf diesen Gipfel, und deshalb hat er meiner Schwester und mir jedes Mal erzählt, dass da oben ein Kiosk ist, der Pepsi-Cola verkauft. Das war Sos' absolutes
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