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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Lieblingsgetränk. Nur noch die letzte Steigung, dann …«
    Kolkka nickte und fuhr mit der Hand über die Unterseite von einem der weißen Skier. Harry trank einen Schluck frischgebrühten Kaffee.
    »Sos vergaß es jedes Mal von den einen Osterferien bis zu den nächsten und fiel immer wieder auf den gleichen alten Trick rein. Ich wünschte mir, ich könnte das auch. Aber ich habe alles behalten, was mein Vater mir jemals gesagt hat. Die Verhaltensmaßregeln im Gebirge, wie man die Natur als Kompass nutzt und wie man in einer Lawine überlebt. Die Reihenfolge der norwegischen Könige, der chinesischen Dynastien und der amerikanischen Präsidenten.«
    »Das sind gute Skier«, sagte Kolkka.
    »Ein bisschen zu kurz.«
    Kolkka setzte sich am anderen Ende des Raums ans Fenster. »Tja, damit rechnet man wirklich nicht, dass die Skier des eigenen Vaters mal zu kurz für einen sein könnten.« Harry wartete. Wartete. Und dann war es so weit.
    »Ich fand sie so schön«, sagte Kolkka. »Und ich dachte, sie mochte mich auch. Lächerlich. Ich habe nur meine Hand auf ihre Brust gelegt. Und sie hat keinen Widerstand geleistet. Hatte wohl Angst.«
    Harry gelang es, dem Drang nachzugeben, einfach aus dem Raum zu gehen.
    »Es stimmt«, fuhr Kolkka fort. »Man ist loyal dem gegenüber, der einen aus der Scheiße geholt hat. Auch wenn man das Gefühl hat, ausgenutzt zu werden. Was kann man sonst machen? Man muss sich für eine Seite entscheiden.«
    Als Harry verstand, dass das alles gewesen war, erhob er sich und ging in die Küche. Er durchsuchte alle Schränke in dem verzweifelten Versuch zu finden, was nicht da war, und das wusste er genau. Ein verzweifeltes Ablenkungsmanöver für denjenigen, der in seinem Kopf hockte und brüllte: »Ein Drink, bloß einer!«
    Das war seine Chance. Seine einzige. Das Gespenst hatte die Fesseln gelöst, ihn hochgehoben, über den Gestank geschimpft und ihn ins Bad gestoßen, wo er ihn auf den Boden der Dusche geschubst und das Wasser aufgedreht hatte. Eine Weile war das Gespenst stehengeblieben, hatte ihm zugesehen und dabei zu telefonieren versucht. Dann hatte es fluchend den Raum verlassen und war ins Wohnzimmer gegangen, um es allem Anschein nach dort noch einmal zu probieren.
    Er wollte weinen. Er war hierher geflohen, hatte sich hier versteckt, damit niemand ihn fand. In der alten Touristenhütte. Hatte mitgenommen, was er brauchte, und sich zwischen all den Abgründen sicher gefühlt. Sicher vor dem Geist. Er weinte nicht. Denn als das Wasser durch seine Kleider drang und die Fetzen des roten Flanellhemdes aufweichte, das an seinem Rücken klebte, wurde ihm bewusst, dass das seine Chance war. Sein eigenes Handy steckte in der Tasche seiner Hose, und die lag zusammengefaltet auf dem Stuhl neben dem Waschbecken.
    Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Nicht wichtig, es war nur ein Meter bis zum Stuhl. Er stemmte die schwarzverbrannten Arme auf den Boden, trotzte den Schmerzen, schob sich vor, hörte die Brandblasen platzen und roch den Gestank der verkohlten Haut, kam aber trotzdem vorwärts, so dass er seine Hosentasche durchsuchen und sein Handy herausnehmen konnte. Es war eingeschaltet, und er hatte guten Empfang. Das Adressbuch. Er hatte die Nummer des Polizisten gespeichert, eigentlich nur, damit er seine Anrufe gleich erkannte.
    Er wählte ihn an. Das Telefon schien zwischen jedem Freizeichen die Luft anzuhalten. Kurze Ewigkeiten. Eine Chance. Die Dusche machte genug Lärm, damit der Mann ihn nicht sprechen hörte. Da! Er hörte die Stimme des Polizisten. Er fiel ihm mit einem heiseren Flüstern ins Wort, aber die Stimme redete unbeeindruckt weiter. Dann wurde ihm klar, dass er mit dem Anrufbeantworter sprach. Er wartete, bis die Stimme zum Ende gekommen war, umklammerte das Telefon, spürte die Haut auf seinem Handrücken aufplatzen, ließ es aber nicht los. Konnte es nicht loslassen. Musste ihm eine Nachricht hinterlassen … komm endlich zum Ende, los, mach schon!
    Er hatte ihn nicht kommen hören, das Plätschern der Dusche hatte seine leichten Schritte übertönt. Das Telefon wurde aus seiner Hand gerissen, und er sah gerade noch den Skischuh auf sich zukommen.
    Als er wieder zu Bewusstsein kam, stand der Mann vor ihm und starrte interessiert auf das Display seines Handys.
    »Du hast hier also ein Netz?«
    Der Mann ging aus dem Bad und wählte eine Nummer. Das Rauschen der Dusche übertönte alle anderen Geräusche. Kurz darauf kam er wieder.
    »Jetzt gehen

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