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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Er kippelte auf zwei Steinen. Er holte Luft. Und kippte den Scooter auf die Seite.
    Der Tote lag auf dem Rücken. Kronglis erster Gedanke war, dass es sich
aller Wahrscheinlichkeit nach
um einen Mann handelte. Schädel und Gesicht waren zwischen dem Scooter und den Steinen zertrümmert worden. Das Resultat erinnerte an die Überreste eines Krebsfestes. Krongli brauchte den zerschlagenen Körper nicht abzutasten, um zu wissen, dass er sich wie Gallertmasse anfühlte, wie ein mürbes Stück Fleisch, aus dem alle Knochen entfernt worden waren. Der Torso war platt gequetscht, und Hüfte und Knie waren pulverisiert. Krongli hätte die Leiche wohl kaum identifizieren können, hätte sie nicht das rote Flanellhemd getragen und diesen einen maroden braunen Zahnstumpf im Unterkiefer gehabt.
KAPITEL 76
    Neudefinition
    W as sagen Sie?« Harry presste den Telefonhörer fester ans Ohr, als ob irgendwo dort der Fehler liegen würde.
    »Ich sage, dass die Leiche unter dem Scooter nicht Tony Leike ist«, wiederholte Krongli. »Sondern?«
    »Odd Utmo. Ein Sonderling und Ortskundiger. Er trägt immer dasselbe rote Flanellhemd. Und der Scooter, der da im Abgrund liegt, gehört ihm. Aber letzte Sicherheit hat mir sein Gebiss verschafft. Ein einziger fauler Zahnstumpf. Weiß Gott, was mit den übrigen Zähnen und der Klammer passiert ist.«
    Utmo. Zahnklammer. Harry erinnerte sich, dass Kaja ihm von dem ortskundigen Sonderling erzählt hatte, der sie zur Hävasshütte gefahren hatte.
    »Aber die Finger«, sagte Harry. »Die waren doch verkrümmt?«
    »Doch, sicher. Utmo war stark gichtgeplagt, der Arme. Bellman hat mich gebeten, die Information so schnell wie möglich an Sie weiterzugeben. Das war nicht ganz das, was Sie sich erhofft hatten, nicht wahr. Hole?«
    Harry schob den Stuhl vom Schreibtisch weg. »Jedenfalls nicht das, was ich erwartet habe. Könnte es ein Unfall gewesen sein, Krongli?«
    Er kannte die Antwort bereits, bevor er sie vernahm. Der Abend und die Nacht waren mondhell gewesen, selbst ohne Fahrtlicht wäre es kaum möglich gewesen, den Abgrund zu übersehen. Schon gar nicht für einen Ortskundigen, der so langsam fuhr, dass er bei einer Falltiefe von siebzig Metern nur drei Meter von der Felswand entfernt landete.
    »Vergessen Sie es, Krongli. Erzählen Sie mir mehr über die Verbrennungen.«
    Einen Augenblick herrschte absolute Stille am anderen Ende, erst dann folgte die Antwort.
    »Arme und Rücken sind verbrannt. Die Haut an den Armen war aufgeplatzt, man kann direkt das rohe Fleisch sehen. Teile des Rückens sind verkohlt. Und zwischen den Schulterblättern ist ein Motiv eingebrannt …«
    Harry schloss die Augen. Dachte an das Muster auf dem Ofen in der Hütte. Die qualmenden Fleischkrümel.
    »… sieht aus wie ein Hirsch. Sonst noch was. Hole? Wir müssen mit der Bergung anfangen …«
    »Nein, nichts weiter, Krongli. Danke.«
    Harry legte auf. Saß eine Weile in Gedanken versunken da. Nicht Tony Leike. Das änderte etwas an den Details, nicht aber am großen Ganzen. Utmo war ein Opfer von Altmans Rachefeldzug geworden, vermutlich war er ihm irgendwie in die Quere gekommen. Sie hatten Tony Leikes Finger, aber wo war der Rest der Leiche? Falls er überhaupt tot war?, schoss es Harry durch den Kopf. Theoretisch konnte Tony Leike irgendwo eingesperrt sein. An einem Ort, den nur Sigurd Altman kannte.
    Harry wählte Skais Nummer.
    »Er weigert sich, mit irgendwem zu reden«, sagte Skai mit vollem Mund. »Außer mit seinem Anwalt.«
    »Der wer ist?«
    »Ein Johan Krohn. Kennen Sie den Mann? Sieht aus wie ein Junge und …«
    »Johan Krohn kenne ich gut.«
    Harry rief in Krohns Büro an und wurde gleich zu ihm durchgestellt. Krohn klang halb entgegenkommend, halb abweisend, eben wie ein professioneller Strafverteidiger zu klingen hat, wenn die Anklagebehörde sich meldet. Er hörte Harry zu. Dann antwortete er.
    »Leider. Sofern Sie keine konkreteren Beweise haben, dass mein Klient eine Person gefangen hält oder sie durch sein Schweigen in anderer Weise einer Gefahr aussetzt, kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht gestatten, mit Sigurd Altman zu sprechen, Hole. Es sind schwerwiegende Beschuldigungen, die Sie gegen ihn vorbringen, und ich muss Ihnen sicher nicht erklären, dass es mein Job ist, nach bestem Vermögen seine Interessen zu wahren.«
    »Stimmt«, sagte Harry. »Das wäre nicht nötig gewesen.« Sie legten auf.
    Harry schaute aus dem Bürofenster in Richtung Zentrum. Der Stuhl war gut, kein Zweifel. Sein

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