Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
bearbeitete. Für sie, Kaja Solness, hingegen ein Mann, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte und der sie nach allen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Kunst verführt hatte. Er hatte leichtes Spiel gehabt, aber das war nicht sein Fehler, sondern ihrer. Im Großen und Ganzen jedenfalls. Was hatte Harry gesagt? »Er ist verheiratet und hat gesagt, dass er deinetwegen Frau und Kinder verlassen will, was er aber nicht tut?«
    Volltreffer. Natürlich. So banal war der Mensch. Wir glauben, weil wir glauben wollen. An Götter, weil uns das die Angst vor dem Tod nimmt. An die Liebe, weil sie das Leben schöner macht. An das, was verheiratete Männer sagen, weil es das ist, was verheiratete Männer sagen.
    Sie wusste, was Mikael sagen würde. Und dann sagte er es:
    »Ich muss bald nach Hause. Sie wundert sich sonst.«
    »Ich weiß«, antwortete Kaja mit einem Seufzen und schluckte wie gewöhnlich die Frage hinunter, die ihr auf der Zunge lag: Warum bereiten wir ihrem Wundern nicht ein Ende? Warum tust du nicht, was du mir schon so lange versprochen hast? An diesem Punkt allerdings meldete sich wie immer in letzter Zeit eine neue Frage: Und warum bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das wirklich will ?
    Harry hielt sich am Geländer fest und zog sich die Treppe zur hämatologischen Abteilung des Reichshospitals hoch. Er war verschwitzt, fror, und seine Zähne klapperten wie ein Zweitaktmotor. Und er war voll. Mal wieder. Voll Jim Beam, voller Wut, voll von sich selbst, voll Scheiße. Er hatte sich selbst so satt.
    Er taumelte auf den Flur und erblickte am Ende des Ganges die Tür, hinter der sein Vater lag.
    Eine Schwester steckte den Kopf aus einem der Stationszimmer, sah ihn an und verschwand wieder. Harry hatte noch fünfzig Meter bis zur Tür, als die Schwester gemeinsam mit einem kahlköpfigen Mann auf den Flur trat und ihm den Weg versperrte.
    »Wir bewahren hier auf der Abteilung keine Medikamente auf«, sagte der Kahle.
    »Das ist nicht nur eine grobe Lüge«, sagte Harry und versuchte seinen Gleichgewichtssinn und das Zähneklappern zu kontrollieren, »… sondern eine grobe Beleidigung. Ich bin kein Junkie, sondern ein Angehöriger, der seinen Vater besuchen möchte. Also lassen Sie mich bitte durch.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte die Schwester, sichtlich beruhigt von Harrys klarer Aussprache. »Aber Sie riechen wie eine Brauerei, wir können Sie nicht durchlassen …«
    »Brauerei macht Bier«, sagte Harry. »Jim Beam ist Bourbon. Was zur Folge hat, dass ich wie eine Destillerie rieche, junge Frau. Das ist …«
    »Egal«, sagte der Pfleger, packte Harry am Ellenbogen, den er aber ebenso schnell wieder losließ, als Harry im Gegenzug seine Hand herumdrehte. Der Pfleger verzog das Gesicht vor Schmerzen, bevor Harry ihn losließ und ihn musterte.
    »Rufen Sie die Polizei, Gerd«, sagte der Pfleger leise, ohne Harry aus den Augen zu lassen.
    »Wenn das für Sie in Ordnung ist, kümmere ich mich darum«, sagte eine leicht lispelnde Stimme hinter ihnen. Sigurd Altman. Er stand mit einem Ordner unter dem Arm da und lächelte sie an: »Begleiten Sie mich dorthin, wo wir die Betäubungsmittel verwahren, Harry?«
    Harry schwankte zweimal vor und zurück. Fokussierte den schmächtigen, dünnen Mann mit den runden Brillengläsern. Dann nickte er.
    »Hier entlang«, sagte Altman, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.
     
    Altmans Büro war strenggenommen ein Verschlag. Es hatte weder Fenster noch Ventilation, dafür aber einen Schreibtisch und ein Feldbett, das für die Pausen im nächtlichen Bereitschaftsdienst gedacht war. Und einen abschließbaren Garderobenschrank, der, wie Harry vermutete, diverse Varianten der chemischen Beruhigung oder Stimulierung enthielt.
    »Altman«, sagte Harry, der laut schmatzend auf der Bettkante saß, als hätte er Leim an den Lippen. »Ungewöhnlicher Name. Ich kenne nur einen, der so heißt.«
    »Robert«, sagte Sigurd Altman, der auf dem einzigen Stuhl im Raum Platz genommen hatte. »In dem kleinen Ort, in dem ich aufgewachsen bin, mochte ich den nicht, der ich war, und nach meinem Weggang habe ich als Erstes beantragt, meinen schrecklich gewöhnlichen Namen – natürlich endete der auf -sen – zu ändern. Ich begründete meinen Antrag damals damit, dass Robert Altman, was ja auch stimmt, mein Lieblingsregisseur ist. Der Sachbearbeiter muss an diesem Tag einen Kater gehabt haben, jedenfalls ging der Antrag durch. Es würde uns allen guttun, ab und zu

Weitere Kostenlose Bücher