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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Voksenkollen. In der Straße ansehnlicher, kostspieliger Villen fiel diese besonders ins Auge. Das Gebäude war wie aus einem Volksmärchen, ein Königshof aus schwarzgeteertem Holz, mit überdimensionierten Holzsäulen am Eingang und Gras auf dem Dach. Um den Hofplatz herum standen zwei weitere Gebäude sowie die Disney-Ausgabe eines historischen Vorratsspeichers. Harry bezweifelte, dass Schiffsreeder Anders Galtungs Kühlschrank nicht groß genug war.
    Harry klingelte an der Pforte, entdeckte eine Kamera auf der Mauer und sagte seinen Namen, nachdem ihn eine Frauenstimme dazu aufgefordert hatte. Er ging eine flutlichtbeleuchtete Kieseinfahrt hinauf, und jeder Schritt hörte sich an, als würde der Kies gierig an den Überresten seiner schiefgelaufenen Stiefelsohlen nagen.
    Eine Frau mittleren Alters mit Schürze und türkisfarbenen Augen empfing ihn an der Tür und begleitete ihn in ein menschenleeres Wohnzimmer. Sie tat das in einer so vollendeten Mischung aus Würde, Arroganz und professioneller Freundlichkeit, dass er selbst, als sie ihn mit einem »Kaffee oder Tee?« zurückließ, noch unsicher war, ob er es mit Frau Galtung, der Haushälterin oder sowohl als auch zu tun gehabt hatte.
    Als die Abenteurer aus aller Welt nach Norwegen kamen, gab es noch keine Könige und auch noch keinen Adel, weswegen die Könige in norwegischen Darstellungen immer als Großbauern mit Hermelin erscheinen. Genau dieser Anblick bot sich Harry, als Anders Galtung das Wohnzimmer betrat: ein fetter, freundlich lächelnder, still vor sich hin schwitzender Großbauer mit Strickjacke. Nachdem er Harry die Hand geschüttelt hatte, wich sein Lächeln einer besorgten Miene, die der Situation angemessener war. Seine Frage wurde von einem schweren Schnaufen begleitet: »Was Neues?«
    »Nichts, fürchte ich.«
    »Wenn ich meine Tochter richtig verstanden habe, scheint Tony häufiger mal zu verschwinden.«
    Harry glaubte herauszuhören, dass Galtung den Namen seines zukünftigen Schwiegersohnes nur mit einer gewissen Mühe über die Lippen brachte. Der Reeder ließ sich schwer auf einen Bauernstuhl Harry vis-à-vis fallen.
    »Herr Galtung, haben Sie eine Vermutung, wo er sein könnte?«
    »Eine Vermutung?« Anders Galtung schüttelte den Kopf so heftig, dass seine Wangen schlackerten. »Für irgendwelche Vermutungen kenne ich ihn nicht gut genug. In den Bergen, in Afrika, was weiß ich.«
    »Hm. Eigentlich bin ich ja hier, um mit Ihrer Tochter zu reden …«
    »Lene wird gleich hier sein«, unterbrach Galtung ihn. »Ich wollte mich nur vorher erkundigen.«
    »Erkundigen wonach?«
    »Wie ich bereits sagte, ob es etwas Neues gibt. Und … und ob Sie sicher sind, dass der Mann eine reine Weste hat.«
    Harry stellte fest, dass statt von »Tony« nun von »dem Mann« die Rede war. Sein erster Eindruck schien zu stimmen: Der werdende Schwiegervater war nicht begeistert von der Wahl seiner Tochter.
    »Sind Sie es, Galtung?«
    »Ich? Ich denke, ich zeige in ausreichendem Maße Vertrauen. Immerhin bin ich dabei, eine ansehnliche Summe in sein Kongo-Projekt zu investieren. Eine äußerst ansehnliche Summe.«
    »Das heißt: die Prinzessin und das halbe Königreich für einen abgerissenen Glücksritter, der an Ihre Tür geklopft hat?«
    Zwei Sekunden war es still im Wohnzimmer, während Galtung Harry musterte.
    »Möglicherweise ja«, sagte er.
    »Kann es sein, dass Ihre Tochter einen gewissen Druck auf Sie ausübt zu investieren? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Leikes Projekt extrem von Ihrem Geld abhängig?«
    Galtung breitete die Arme aus. »Ich bin Schiffsreeder. Ich lebe vom Risiko.«
    »Das einem auch das Genick brechen kann.«
    »Das sind zwei Seiten einer Medaille. Im Risikogeschäft ist das Brot des einen des anderen Tod. Bis jetzt sind immer die anderen gestorben, und ich hoffe, so wird es auch bleiben.«
    »Dass andere sterben?«
    »Die Reederei ist ein Familienunternehmen, und wenn Leike Teil dieser Familie wird, müssen wir dafür sorgen …« Er hielt inne, als die Wohnzimmertür geöffnet wurde. Sie war groß, blond, mit den groben Zügen ihres Vaters und den türkisfarbenen Augen ihrer Mutter, aber ohne das bescheidene Großbauerngehabe oder die würdevolle Arroganz der Mutter. Sie ging vornübergebeugt, als wollte sie sich kleiner machen, um ja nicht aufzufallen, und schaute auf ihre Schuhspitzen, als sie Harry die Hand gab und sich als Lene Gabrielle Galtung vorstellte.
    Sie hatte wenig zu sagen und stellte noch weniger Fragen,

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