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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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schien sich aber jedes Mal unter dem Blick ihres Vaters zu ducken, wenn sie Harry eine Frage beantwortete, so dass Harry sich nach einer Weile zu fragen begann, ob seine Annahme, sie hätte ihren Vater zu der Investition gedrängt, vielleicht doch falsch war.
    Zwanzig Minuten später bedankte Harry sich und stand auf. Wie auf ein unsichtbares Signal tauchte die Frau mit den türkisfarbenen Augen wieder auf.
    Als sie ihm die Haustür öffnete, ihm die Kälte entgegenschlug und Harry stehenblieb, um sich den Mantel zuzuknöpfen, sah er sie noch einmal an.
    »Was glauben Sie, wo Tony Leike ist, Frau Galtung?«
    »Ich glaube gar nichts«, sagte sie.
    Vielleicht lag es an ihrer etwas zu schnellen Antwort oder an einem Zucken im Augenwinkel, dass Harry bezweifelte, dass sie die Wahrheit sagte. Vielleicht entsprang dieser Eindruck aber auch nur seinem starken Wunsch, endlich irgendetwas zu finden. Ihr nächster Satz hingegen ließ keinerlei Zweifel offen:
    »Und ich bin nicht Frau Galtung. Die ist oben.«
     
    Mikael Bellman zog das Mikrophon zu sich heran und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Es gab noch vereinzelte Unterhaltungen, aber alle Augenpaare waren vorn aufs Podium gerichtet, damit keiner etwas verpasste. Er erkannte in dem völlig überfüllten Raum den Journalisten vom Stavanger Aftenblad und Roger Gjendem von der Aftenposten . Ninni saß wie immer in einer frischgebügelten Uniform neben ihm. Die Sekunden bis zum Start wurden, wie üblich bei Pressekonferenzen, die live vom Rundfunk oder Fernsehen übertragen wurden, gezählt. Im nächsten Augenblick schallte Ninnis Stimme aus den Lautsprechern.
    »Herzlich willkommen. Wir haben diese Pressekonferenz einberufen, um Ihnen den aktuellsten Stand unserer Ermittlungen darzulegen. Eventuelle Fragen …«
    Leises Raunen.
    »… können im Anschluss gestellt werden. Damit gebe ich das Wort an den Ermittlungsleiter, Kriminaloberkommissar Mikael Bellman.«
    Bellman räusperte sich. Es waren tatsächlich alle gekommen. Die Fernsehsender hatten die Genehmigung erhalten, ihre Mikrophone auf dem Podiumstisch aufzubauen.
    »Danke. Lassen Sie mich mit einem kleinen Dämpfer beginnen. Ihrem zahlreichen Erscheinen und den gespannten Gesichtern entnehme ich, dass wir mit unserer Einladung zu dieser Pressekonferenz möglicherweise die Erwartungen etwas zu hoch geschraubt haben. Erwarten Sie keine Verkündung eines Durchbruchs bei unseren Ermittlungen.« Bellman sah die Enttäuschung in den Gesichtern und vernahm das eine oder andere genervte Stöhnen. »Wir sind hier, um dem von Ihnen geäußerten Wunsch nachzukommen, Sie fortlaufend zu informieren. Es tut mir also leid, wenn Sie heute Wichtigeres vorhatten.«
    Bellman lächelte schief, hörte einige Journalisten lachen und wusste, dass ihm vergeben war.
    Dann fasste er den Stand der Ermittlungen kurz und bündig zusammen. Das heißt, er wiederholte die wenigen Erfolge, die sie zu verzeichnen hatten, wie das Seil im Mordfall Marit Olsen, das in einer Seilerei am Lyseren aufgespürt worden war, das Auffinden eines weiteren Mordopfers, Adele Vetlesen, und die Identifizierung der Mordwaffe, mit der zwei der Morde begangen worden waren, des sogenannten Leopoldsapfels. Altes neu verpackt. Er sah einen der Journalisten ein Gähnen unterdrücken. Mikael Bellman schaute auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Sein Manuskript. Das Manuskript für ein kleines Drama, Wort für Wort niedergeschrieben. Gewissenhaft in der Gruppe abgewogen und durchgegangen. Nicht zu viel, nicht zu wenig, der Köder sollte riechen, aber nicht stinken.
    »Zum Schluss zu den Zeugen«, begann er und sah, wie sich das Pressekorps in seinen Stühlen aufrichtete. »Wie Ihnen bekannt ist, haben wir diejenigen, die sich in derselben Nacht wie die Mordopfer in der Håvasshütte aufgehalten haben, aufgefordert, sich zu melden. Daraufhin hat eine Person namens Iska Peller bei uns angerufen. Sie wird heute Abend mit einem Flug aus Australien in Oslo eintreffen und morgen mit einem unserer Ermittler zur Håvasshütte rausfahren, um dort den Tatabend zu rekonstruieren, so weit das möglich ist.«
    Im Normalfall hätten sie natürlich niemals den Namen der Zeugin bekanntgegeben, aber in diesem speziellen Fall ging es ja gerade darum, dass der eigentliche Adressat dieser Pressekonferenz – der Mörder – mitbekam, dass die Polizei eine Person von der Gästeliste ausfindig gemacht hatte. Bellman hatte keinen besonderen Nachdruck in das Wort

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