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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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»einem« gelegt, als er von einem Ermittler sprach, aber genau das war die Intention. Zwei Personen, die Zeugin und ein Ermittler. In der Hütte. Mitten in der Einöde.
    »Wir hoffen natürlich, dass Frau Peller uns eine detaillierte Beschreibung der anderen Gäste an diesem Abend geben kann.«
    Sie hatten eine lange Diskussion über die genaue Wortwahl geführt. Es sollte angedeutet werden, dass die Zeugin den Mörder zu Fall bringen könnte. Zugleich war Harry der Meinung gewesen, es sei wichtig, das Augenmerk nicht zu sehr darauf zu lenken, dass die Zeugin mit nur einem Ermittler dorthin fuhr. Ihm kam es mehr darauf an, dass die zusammenfassende Einleitung »zum Schluss zu den Zeugen« und das später folgende entdramatisierende »hoffen natürlich« signalisierte, dass die Polizei diese Zeugin bislang nicht als sonderlich wichtig einstufte und ergo keine größeren Sicherheitsmaßnahmen für nötig erachtete. Der Mörder sollte darüber natürlich anders denken.
    »Was soll sie Ihrer Meinung nach gesehen haben? Und würden Sie bitte den Namen der Zeugin buchstabieren?«
    Ninni beugte sich vor, um daran zu erinnern, dass die Fragestunde im Anschluss stattfand, aber Mikael Bellman schüttelte abwehrend den Kopf.
    »Wir werden sehen, woran sie sich erinnert, sobald sie aus der Håvasshütte zurück ist«, sagte Bellman in das Mikrophon mit dem Logo des öffentlich-rechtlichen Staatssenders NRK . »Sie wird mit einem unserer routiniertesten Ermittler dorthin fahren und sich vierundzwanzig Stunden dort aufhalten.«
    Er sah Harry Hole an, der im hinteren Bereich des Raumes stand und verhalten nickte. Das Wesentliche war gesagt. Vierundzwanzig Stunden. Der Köder war ausgeworfen. Bellmans Blick glitt weiter. Fand den Pelikan. Sie hatte als Einzige protestiert, fand es unerhört, überhaupt in Erwägung zu ziehen, die Presse wissentlich hinters Licht zu führen. Bellman hatte sie in einem Vieraugengespräch überzeugen müssen, bevor sie sich der Mehrheit angeschlossen hatte.
    Als Ninni die Fragerunde eröffnete, kam Leben in die versammelten Journalisten, während Bellman sich entspannte und darauf einstellte, vage und schwammige Antworten zu geben und auf den immer wieder nützlichen Satz zurückzugreifen: »Darauf können wir in der derzeitigen Phase der Ermittlungen leider nicht näher eingehen.«
     
    Seine Beine waren kalt, so kalt, dass sie ganz gefühllos waren. Wie konnte das angehen, wo der Rest des Körpers doch lichterloh brannte. Er hatte geschrien, bis seine Stimme versagt hatte. Seine Kehle war trocken, ausgetrocknet, aufgerissen, eine offene Wunde mit zu rotem Staub verbranntem Blut. Es stank nach versengten Haaren und Fleisch. Der Ofen hatte sich durch das Flanellhemd und die Haut in seinen Rücken gefressen, während er schrie und schrie, und war mit ihm verschmolzen. Er fühlte sich wie ein Zinnsoldat. Als der Schmerz und die Hitze sich in sein Bewusstsein fraßen und er endlich, endlich in eine Art Ohnmacht glitt, wurde er mit einem Ruck aus dem Dämmerzustand gerissen. Der Mann hatte einen Eimer kaltes Wasser über ihm ausgegossen. Die augenblickliche Linderung ließ ihn aufschluchzen. Er hörte das Zischen des verdampfenden Wassers zwischen seinem Rücken und dem Ofen und fühlte die Schmerzen mit frischer Kraft zurückkehren.
    »Mehr Wasser?«
    Er schaute hoch. Der Mann stand mit einem neu gefüllten Eimer vor ihm. Der Nebelschleier vor seinen Augen lichtete sich, und für wenige Sekunden sah er ihn ganz deutlich. Der Flammenschein aus den Lüftungslöchern des Ofens tanzte über sein Gesicht und brachte die Schweißperlen auf seiner Stirn zum Glitzern.
    »Es ist ganz einfach. Ich will nur wissen, wer? Jemand von der Polizei? Oder einer von denen, die in der Nacht in der Håvasshütte waren?«
    Schluchzend presste er heraus: »Welche Nacht?«
    »Du weißt genau, welche Nacht. Sie sind tot. Fast alle. Komm schon.«
    »Ich weiß nicht. Ich hab nichts damit zu tun, glaub mir. Wasser. Bitte. Bitte …«
    »… Bitte? Bitte … wie in Bitte ?«
    Der Geruch. Dieser Gestank seines eigenen verbrannten Fleisches. Er stieß die Worte in einem heiseren Flüstern aus: »… nur ich.«
    Sanftes Lachen. »Clever. Du tust so, als wärst du bereit, alles zu sagen, um dem Schmerz zu entkommen. Und ich soll dir glauben, dass es niemand anderen gibt, mit dem du zusammenarbeitest. Ich weiß aber, dass du noch mehr aushältst. Du bist einer von der zähen Sorte.«
    »Charlotte …«
    Der Mann schwang den Feuerhaken.

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