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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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jeden Spiegel. Ich war ein gutaussehender Mann, musst du wissen.«
    »Hast du gelesen, was ich dir geschickt habe?«
    »Ich musste es heimlich lesen. Doktor Dyregod meinte, ich solle mich nicht übernehmen. Infektionen. Entzündungen. Fieber. Sie ist aufrichtig um meine Gesundheit besorgt, Harry. Ziemlich verblüffend, wenn man bedenkt, was ich getan habe, oder? Ich persönlich will eigentlich nur noch sterben. In dieser Hinsicht beneide ich die, die ich … Aber das hast du ja zu verhindern gewusst, Harry.«
    »Der Tod wäre eine zu milde Strafe gewesen.«
    In den Augen des Mannes im Bett flammte etwas auf und schoss wie weiße, kalte Blitze aus den schmalen Augen.
    »Zumindest hat es mir einen Namen und einen Platz in den Geschichtsbüchern eingebracht. Alle wollen etwas über den Schneemann lesen. Irgendjemand wird mein Erbe schon antreten und meine Ideen zu Ende führen. Und was hast du bekommen, Harry? Nichts. Im Gegenteil. Das wenige, das du hattest, hast du auch noch verloren.«
    »Stimmt«, sagte Harry. »Du hast gewonnen.«
    »Fehlt dir dein Mittelfinger?«
    »In diesem Augenblick, ja.« Harry hob den Kopf und begegnete dem Blick des anderen. Hielt ihn fest. Bis der kleine Karpfenmund sich öffnete. Das Lachen klang wie ein Pistolenschuss mit Schalldämpfer.
    »Deinen Sinn für Humor hast du jedenfalls nicht verloren, Harry. Dir ist klar, dass ich eine Gegenleistung verlange?«
    » No cure, no pay . Aber, lass hören.«
    Der Mann drehte sich mühsam zum Nachttisch um, nahm das Wasserglas, das dort stand, und führte es an die Mundöffnung. Harry starrte die Hand an, die das Glas hielt. Sie sah aus wie eine weiße Vogelkralle. Als er genug getrunken hatte, stellte er das Glas umständlich wieder ab und begann zu reden. Die Jammerstimme klang schwächer, wie ein Radio, dessen Batterien am Ende waren.
    »In meinen Haftbedingungen muss was von extremer Suizidgefahr stehen, jedenfalls passen sie auf wie die Schießhunde. Du wurdest abgetastet, ehe sie dich reingelassen haben, stimmt’s? Aus Angst, du könntest ein Messer zu mir reinschmuggeln. Ich möchte den Rest des Verfalls nicht mehr mit ansehen, Harry. Es reicht, findest du nicht?«
    »Nein«, sagte Harry. »Das finde ich nicht. Überleg dir was anderes.«
    »Du hättest einfach lügen und ja sagen können.«
    »Wäre dir das lieber?«
    Der Mann wedelte abwehrend mit der Hand. »Ich will Rakel sehen.«
    Harry hob erstaunt die Augenbrauen. »Wieso?«
    »Ich möchte ihr etwas sagen.«
    »Was?«
    »Das geht nur sie und mich etwas an.«
    Der Stuhl schabte kreischend über den Boden, als Harry sich erhob. »Das werde ich niemals zulassen.«
    »Warte. Setz dich.«
    Harry setzte sich.
    Der Mann senkte den Blick und zupfte an der Daunendecke. »Versteh mich nicht falsch, die anderen bereue ich nicht. Das waren Huren. Aber Rakel war anders. Sie war … anders. Das wollte ich nur sagen.«
    Harry sah ihn ungläubig an.
    »Also, was denkst du«, sagte der Schneemann. »Sag ja. Lüg, wenn es sein muss.«
    »Ja«, log Harry.
    »Du bist ein schlechter Lügner, Harry. Ich will mit ihr sprechen, bevor ich dir helfe.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    »Wieso sollte ich dir trauen?«
    »Weil du keine Wahl hast. Weil Diebe Dieben vertrauen, wenn sie es müssen.«
    »Tun sie das?«
    Harry lächelte dünn. »Als ich mir anfangs in Hongkong mein Opium besorgt habe, nutzten wir eine Weile die Behindertentoilette im Landmark-Hotel an der Des Voeux als Übergabeort. Ich ging zuerst rein, legte eine Nuckelflasche mit Geld unter den Spülkastendeckel der Toilettenzelle ganz rechts. Drehte eine Runde und sah mir ein paar falsche Uhren an, kam zurück und holte meine Nuckelflasche wieder ab, immer mit dem bestellten Quantum Opium. Blindes Vertrauen.«
    »Wieso nur eine Weile ?«
    Harry zog die Schultern hoch. »Eines Tages war die Nuckelflasche weg. Vielleicht hat der Dealer mich übers Ohr gehauen, oder es hat uns jemand beobachtet und sich das Geld oder den Stoff unter den Nagel gerissen. Eine Garantie gibt es nie.«
    Der Schneemann sah Harry lange an.
     
    Harry ging neben der Ärztin durch den Korridor. Der Gefängnisaufseher ein paar Schritte vor ihnen.
    »Das ging ja schnell«, sagte sie.
    »Er hat sich kurz gefasst«, sagte Harry.
    Harry ging zielstrebig durch den Rezeptionsbereich auf den Parkplatz und setzte sich in sein Auto. Seine Hand zitterte, als er den Zündschlüssel ins Schloss steckte. Das Hemd klebte an seinem Rücken, als er sich zurücklehnte.
    Kurz gefasst.
    »Nehmen

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