Leopard
Miss.«
Sie sah ihn an, musterte ihn. Zögernd, von Kopf bis Fuß. Und noch einmal in umgekehrter Richtung. Ihre weichen Lippen entblößten ihre Zähne. »You a rich man?«
Harry antwortete nicht. Sie blinzelte schläfrig, und ihre schwarzen Augen glänzten matt. Dann lächelte sie. »Thirty minutes. Come back then.«
Harry ging zurück zum Auto, setzte sich auf den Beifahrersitz, bat Saul, zum Hotel zu fahren, und rief Kaja an.
»Ich bin in der Ankunftshalle«, sagte sie. »Das Flugzeug scheint pünktlich zu kommen, auf jeden Fall habe ich noch nichts anderes gehört.«
»Ich reserviere uns ein Zimmer im Hotel, bevor ich zurück zu van Boorst fahre und das Notwendige besorge.«
Das Hotel lag im Osten des Zentrums auf dem Weg nach Ruanda. Vor der Rezeption befand sich ein Parkplatz aus Lava glasur, umrahmt von Bäumen. Ein ungewöhnlicher Anblick in Goma.
»Die sind nach dem letzten Ausbruch gepflanzt worden«, sagte Saul, als hätte er Harrys Gedanken gelesen.
Das Doppelzimmer lag im ersten Stock eines niedrigen Gebäudes ganz unten am See. Der Balkon ragte über das Wasser. Harry rauchte eine Zigarette und betrachtete das Glitzern der Morgensonne auf dem Wasser und der Förderplattform weit draußen. Er sah auf die Uhr und ging zurück zum Parkplatz.
Sauls Verhalten schien sich dem zähfließenden Verkehr anzupassen, in dem sie sich bewegten: Er fuhr langsam, redete langsam und bewegte seine Hände langsam. Er parkte vor der Kirchenmauer, ein gutes Stück von van Boorsts Haus entfernt, schaltete den Motor aus und bat Harry höflich, aber bestimmt um das zweite Drittel der vereinbarten Summe.
»Vertrauen Sie mir nicht?«, fragte Harry und zog eine Augenbraue hoch.
»Ich vertraue auf Ihren aufrichtigen Willen, bezahlen zu wollen«, sagte Saul. »Aber in Goma ist das Geld bei mir sicherer als bei Ihnen, Mister Harry. Das ist bedauerlich, aber es ist so.«
Harry nickte, der Gedanke war nachvollziehbar, er blätterte Saul die restliche Summe hin und fragte ihn, ob er etwas Schweres, Kompaktes in der Größe einer Pistole im Auto hätte, vielleicht eine Taschenlampe. Saul nickte und öffnete das Handschuhfach. Harry nahm die Lampe heraus, steckte sie in die Innentasche seiner Jacke und sah auf die Uhr. Es waren fünfundzwanzig Minuten vergangen.
Er ging schnell über die Straße, ohne sich umzublicken. Trotz dem registrierte er aus den Augenwinkeln die Männer, die ihn mit abschätzenden Blicken beobachteten. Sie kalkulierten seine Größe und sein Gewicht. Die Kraft seiner Schritte. Musterten die Jacke, die leicht schief hing und deren Innentasche sich ausbeulte. Und ließen den Gedanken fallen.
Er ging zur Tür und klopfte an.
Die gleichen leichten Schritte.
Die Tür wurde geöffnet. Die Frau sah ihn kurz an, ehe ihr Blick an ihm vorbei auf die Straße wanderte.
»Schnell, komm«, sagte sie, nahm seinen Arm und zog ihn ins Haus.
Harry trat über die Türschwelle und blieb drinnen im Halbdunkel stehen. Alle Gardinen waren vorgezogen, abgesehen von der vor dem Fenster über dem Bett, auf dem er sie bei seinem ersten Besuch halbnackt hatte liegen sehen.
»Er ist noch nicht gekommen«, sagte sie in ihrem einfachen, effektiven Englisch. »Aber bald.«
Harry nickte und blickte zum Bett. Versuchte sie sich vorzustellen, mit einer Decke über den Hüften und dem Licht auf ihrer Haut. Aber es gelang ihm nicht, denn seine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefangengenommen, etwas war anders, stimmte nicht, fehlte oder war da, ohne wirklich dorthin zu gehören.
»Sind Sie allein gekommen?«, fragte sie, ging um ihn herum und setzte sich vor ihm aufs Bett. Legte die rechte Hand auf die Matratze, so dass ein Träger ihres Kleides nach unten rutschte.
Harry sah sich um und suchte den Fehler. Und fand ihn. Der Kolonialherr und Ausbeuter König Leopold.
»Ja«, sagte er automatisch, ohne wirklich zu wissen, warum. »Alone.«
Das Bild von König Leopold, das über dem Bett gehangen hatte, es war nicht mehr da. Gleich darauf meldete sich ein zweiter Gedanke. Van Boorst würde nicht kommen, auch er war nicht mehr da.
Harry trat einen halben Schritt auf die junge Frau zu. Sie sah ihn an und fuhr sich mit der Zunge über die vollen rotschwar zen Lippen. Er konnte den Nagel erkennen, an dem das Bild des belgischen Königs gehangen hatte, doch jetzt steckte auf diesem Nagel ein Geldschein. Ein Geldschein mit einem aufgeprägten Gesicht, sensibel und mit gepflegtem Schnäuzer. Edvard Munch.
Harry begriff mit
Weitere Kostenlose Bücher