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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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kleines Problem mit geschlossenen Türen.«
    »Okay«, sagte Harry.
    »So … ist das eben.«
    Harry nickte. Und da hörte er das Geräusch. Das Geräusch abgemessener, ablaufender Zeit, von Sekunden, die zerrannen. Das rasche, hektische Tropfen von Wasser. Ein laufender Wasserhahn auf der anderen Seite der Tür. In diesem Moment wusste er es, er hatte sich nicht geirrt.
    »Warte hier«, sagte Harry und schob die Tür auf.
    Als Erstes registrierte er den Klebstoffgeruch, der hier drinnen wieder stärker war.
    Als Zweites die Jacke auf dem Boden, die Jeans, eine Unterhose, ein T-Shirt, zwei schwarze Socken, eine Wollmütze und einen dünnen Wollpullover.
    Als Drittes das Wasser, das in einem dünnen Strahl aus dem Hahn in die Badewanne lief, die so voll war, dass das Wasser durch den Überlauf und über den Rand der Badewanne abfloss.
    Als Viertes, dass das Wasser in der Wanne rot gefärbt war, allem Anschein nach von Blut.
    Als Fünftes, dass der gebrochene Blick über dem zugeklebten Mund der nackten, kreidebleichen Person in der Badewanne zur Seite gewandt war, als wollte er etwas im toten Winkel fixieren, etwas, das er nicht hatte kommen sehen.
    Als Sechstes, dass keine Spuren von Gewalt zu erkennen wa ren, jedenfalls keine äußerlichen Verletzungen, die das viele Blut erklärt hätten.
    Harry räusperte sich und überlegte, wie er die Vermieterin am taktvollsten hereinbitten sollte, um ihren Mieter zu identifizieren.
    Aber das war gar nicht mehr nötig, denn sie stand bereits hinter ihm auf der Türschwelle.
    »O mein Gott!«, stöhnte sie. Und dann noch einmal – mit Betonung auf jeder Silbe: »O mein Gott!« Und abschließend, in klagendem Ton, in den sie noch mehr Nachdruck legte: »O mein Gott und Jesus Christus …!«
    »Ist das …?«, tastete sich Harry vor.
    »Ja«, sagte die Frau mit tränenerstickter Stimme. »Das ist er. Das ist Elias. Elias Skog.«

KAPITEL 25
     
    Territorium
     
    D ie alte Dame hatte beide Hände vor den Mund gelegt und murmelte hinter den Fingern: »Was hast du bloß getan, Elias, mein Guter?«
    »Es ist nicht sicher, dass er überhaupt etwas getan hat«, sagte Harry und führte sie aus dem Bad hinaus zur Wohnungstür. »Wären Sie bitte so gut, bei der Polizeidienststelle in Stavanger anzurufen und sie zu bitten, ein paar Kriminaltechniker zu schicken, weil wir hier einen Tatort haben?«
    »Tatort?« Ihre Augen waren weit aufgerissen und schwarz vor Schock.
    »Ja, sagen Sie das. Sie können auch die Notrufnummer 112 wählen, wenn Ihnen das lieber ist. Wäre das möglich?«
    »Ja … ja doch.«
    Sie hörten die Frau nach unten in ihre eigene Wohnung gehen.
    »Bis die hier sind, bleibt uns ungefähr eine Viertelstunde«, sagte Harry. Sie zogen die Schuhe aus, stellten sie auf den Flur und gingen auf Strümpfen ins Badezimmer. Harry sah sich um. Im Waschbecken fanden sich jede Menge lange blonde Haare, und auf dem Beckenrand lag eine ausgedrückte Tube.
    »Das sieht nicht nach Zahnpasta aus«, sagte Harry und beugte sich über die Tube, ohne sie zu berühren.
    Kaja trat näher. »Superkleber«, stellte sie fest. »Strongest there is.«
    »Dieses Zeug, das man auf keinen Fall an die Finger bekommen darf, oder?«
    »Wirkt sekundenschnell. Wenn du die Finger einen winzigen Augenblick zu lange zusammenpresst, kriegst du sie nicht mehr auseinander. Bleibt dir nur noch, sie auseinanderzuschneiden oder so fest zu ziehen, dass die Haut abgeht.«
    Harry starrte zuerst nur Kaja an. Dann blickte er wieder auf die Leiche in der Badewanne.
    »Oh, Scheiße«, sagte er langsam. »Das darf doch nicht …«
     
    Kriminaloberkommissar Gunnar Hagen hatte seine Zweifel. Wahrscheinlich war es sein größter Fehler, seit er im Polizeipräsidium angefangen hatte. Eine Gruppe zusammenzustellen, die Ermittlungen gegen die Anweisungen des Ministeriums anstellte, konnte ihm ziemlich viel Ärger einbringen. Und Harry Hole als Leiter dieser Gruppe zu benennen setzte dem ganzen richtiggehend die Krone auf. Soeben hatte der Ärger dann auch an die Tür geklopft und in Gestalt von Mikael Bellman sein Büro betreten. Hagen hörte Bellman zu und registrierte, dass die merkwürdigen Flecken im Gesicht seines Gegenübers vom Kriminalamt weißer als gewöhnlich leuchteten, als würden sie von innen heraus von einer glühenden, atomaren Masse aktiviert, etwas extrem Explosivem, das für den Augenblick noch gezähmt war.
    »Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, haben Harry Hole und zwei seiner Kollegen am Lyseren im

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