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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Oleg helfen zu vergessen. Wenn Kinder noch so jung sind, können sie das schaffen.«  
    »Nicht immer«, sagte Kaja mit einem schiefen Lächeln.  
    Harry sah sie von der Seite an. »Und wer hat dich gut gemacht?«  
    »Even«, sagte sie, ohne eine Sekunde zu zögern.  
    »Keine große Liebe?«  
    Sie schüttelte den Kopf. »Kein XL . Nur ein S . Und ein M .«  
    »Jemanden im Visier?«  
    Sie lachte leise. »Im Visier?«  
    Harry lächelte. »Mein Vokabular auf diesem Gebiet ist etwas altmodisch.«  
    Sie sprang darauf an. »Ich bin wohl ein bisschen für einen Typen entflammt.«  
    »Und wie sind die Aussichten?«  
    »Schlecht.«  
    »Lass mich raten«, sagte Harry, kurbelte die Seitenscheibe ein wenig nach unten und zündete sich eine Zigarette an. »Er ist verheiratet und hat gesagt, dass er deinetwegen Frau und Kinder verlassen will, was er aber nicht tut?«  
    Sie lachte. »Lass mich raten. Du bist auch einer von denen, die glauben, sie durchschauen andere Menschen, weil sie sich nur an die Gelegenheiten erinnern, bei denen sie mit ihren Vermutungen ins Schwarze getroffen haben.«
    »Er hat gesagt, dass du ihm nur etwas mehr Zeit lassen musst.«
    »Schon wieder falsch«, sagte sie. »Er sagt gar nichts.«  
    Harry nickte. Er wollte weiterfragen, als er merkte, dass er es gar nicht wissen wollte.  

KAPITEL 35
     
    Tauchgang
     
    N ebel trieb über die schwarze, blanke Oberfläche des Lyseren. Am Ufer standen die Bäume wie düstere, stumme Schaulustige mit hängenden Schultern. Kommandorufe, Funksignale und das Plätschern des Wassers zerschnitten die Stille, als die Taucher sich rückwärts aus dem Gummiboot fallen ließen. Sie hatten am Ufer begonnen, in unmittelbarer Nähe der Seilerei. Die Taucheinsatzführer hatten ihre Taucher in Fächerformation ausgeschickt und standen nun an Land und zeichneten auf der in Planquadrate eingeteilten Karte ein, in welchen Bereichen des festgelegten Suchgebietes ihre Leute gerade unterwegs waren. Mit einem Ruck an den Leinen signalisierten sie, ob der Tauchgang unterbrochen werden sollte oder die Taucher zurückkommen sollten. Die professionellen Rettungstaucher, wie Jarle Andreassen, hatten überdies Leitungen in den Leinen, die zu ihren Vollmasken führten, so dass sie sich mit den Taucheinsatzführern verständigen konnten.
    Es war gerade mal sechs Monate her, dass Jarle seinen Rettungstaucherschein gemacht hatte, und sein Puls schnellte bei diesen Tauchgängen noch immer in die Höhe. Dabei bedeutete ein hoher Puls höheren Sauerstoffverbrauch. Die erfahreneren Taucher von der Feuerwehrzentrale in Briskeby nannten ihn »Korken«, weil er so oft an die Oberfläche musste, um die Sauerstoffflaschen zu wechseln.
    Jarle wusste, dass es oben noch hell war, aber unten am Grund herrschte allerschwärzeste Nacht. Er versuchte, die vorgeschriebenen anderthalb Meter über dem Boden zu schwimmen, wirbelte aber trotzdem massenweise Schlamm auf, der das Licht seiner Lampe reflektierte und ihn teilweise regelrecht blendete. Obgleich ihm klar war, dass nur wenige Meter entfernt andere Taucher unterwegs waren, fühlte er sich einsam. Einsam und kalt bis ins Mark. Dabei konnte dieser Tauchgang noch Stunden dauern. Er wusste, dass er weniger Sauerstoff als die anderen Taucher hatte, und das ärgerte ihn. Dass er wieder einmal der erste der Rettungstaucher der Osloer Feuerwehrzentrale sein würde, der nach oben musste, um seine Flasche auszutauschen, war okay, aber er fürchtete, heute auch noch von den freiwilligen Helfern aus den örtlichen Tauchervereinen übertroffen zu werden. Er richtete den Blick wieder nach vorn und hielt die Luft an. Nicht als bewusste Handlung, um den Verbrauch zu reduzieren, sondern weil mitten im Lichtkegel, in dem wogenden Stängelwald, der in Ufernähe aus dem Schlammboden wuchs, ein Wesen schwebte. Ein Wesen, das nicht hierhergehörte, hier nicht leben konnte. Ein Fremdkörper. Der Anblick war faszinierend und erschreckend zugleich. Das Licht seiner Lampe wurde von den schwarzen Augen reflektiert, als wäre das Wesen noch am Leben.
    »Alles in Ordnung, Jarle?«
    Die Stimme des Taucheinsatzführers drang zu ihm. Es war eine seiner Aufgaben, den Atem der Taucher zu kontrollieren. Dabei ging es nicht nur um die Frage, ob sie atmeten, sondern auch darum, ob ihr Atem sich veränderte, nervös klang. Oder übertrieben ruhig. Bereits in zwanzig Metern Tiefe lagerten sich im Gehirn so große Mengen Stickstoff ab, dass der Tiefenrausch einsetzen

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