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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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er blinzelte nicht. Harry zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie was, Bellman? Ich glaube, hier geht es weniger um Macht und Politik als darum, dass Sie ein kleiner Junge sind, der unbedingt die Welt retten will. So einfach ist das. Und jetzt haben Sie Angst, dass ich Ihr Helferepos durchkreuzen könnte. Aber es gibt eine ganz einfache Methode, das hier jetzt und gleich zu entscheiden. Wie wär’s, wollen wir die Hosen runterlassen und sehen, wer von uns es schafft, bis zum Boot der Taucher zu pinkeln?«
    Als Mikael Bellman dieses Mal lachte, war es echt, mit allem, was dazugehört.
    »Sie sollten die Warnungen ernst nehmen, Harry.«
    Seine rechte Hand schoss so schnell nach vorn, dass Harry nicht mehr reagieren konnte, schnappte die Zigarette zwischen seinen Lippen weg und schnippte sie ins Wasser, wo sie mit einem leisen Zischen verlosch.
    »Das könnte Sie das Leben kosten. Einen schönen Tag noch.«
    Harry hörte den Helikopter abheben, während er auf seine letzte Zigarette starrte, die im Wasser dümpelte. Das graue, nasse Zigarettenpapier, das schwarze, tote Ende.
     
    Es dämmerte, als das Boot des Tauchvereins Harry, Kaja und Beate Lønn am Parkplatz absetzte. Sogleich regte sich etwas unter den Bäumen, und kurz darauf leuchtete ein Blitzlicht auf. Harry hob automatisch den Arm und hörte Roger Gjendems Stimme aus dem Dunkel:
    »Harry Hole, es kursieren Gerüchte, Sie hätten eine junge Frau gefunden? Wie heißt sie, und wie sicher sind Sie, dass dieser Fall mit den anderen Morden in Zusammenhang steht?«
    »Kein Kommentar«, sagte Harry und bahnte sich leicht geblendet den Weg. »Vorläufig ist das noch ein Vermisstenfall. Wir können im Augenblick nur sagen, dass eine Frau gefunden wurde, bei der es sich eventuell um die Vermisste handeln könnte. Was die Mordserie angeht, die Sie vermutlich meinen, müssen Sie mit dem Kriminalamt reden.«
    »Der Name der Frau?«
    »Sie muss erst identifiziert werden, und dann müssen wir die Angehörigen informieren.«
    »Aber Sie schließen nicht aus, dass …«
    »Ich schließe wie gewöhnlich nichts aus, Gjendem. Es gibt demnächst eine Pressemitteilung.«
    Als Harry endlich ins Auto stieg, hatte Kaja schon den Motor angelassen. Beate Lønn saß auf der Rückbank. Sie rollten auf die Straße, und ein Blitzlichtgewitter zog ihnen hinterher.
    »Nun«, sagte Beate Lønn und beugte sich zwischen den Sitzen vor. »Ich habe noch immer keine Erklärung dafür bekommen, warum ihr ausgerechnet hier nach Adele Vetlesen gesucht habt.«
    »Einfache, reine, deduktive Logik«, sagte Harry.
    »Natürlich«, erwiderte Beate mit einem Seufzen.
    »Eigentlich ist es peinlich, dass ich nicht eher darauf gekommen bin«, sagte Harry. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ein Mörder sich die Mühe macht, zu einer weit entfernten, stillgelegten Seilerei zu fahren, bloß um sich dort ein Seil zu beschaffen. Insbesondere da man dieses Seil – im Gegensatz zur üblichen Supermarktware – hierher zurückverfolgen kann. Dabei liegt die Antwort auf der Hand. Trotzdem bin ich erst darauf gekommen, als ich auf einen tiefen afrikanischen See gestarrt habe. Er ist gar nicht wegen des Seils hierhergefahren. Sondern er hat das Seil hier draußen für irgendetwas gebraucht und den Rest anschließend mit nach Hause genommen, wo er es später
    – einfach weil er es hatte – nutzte, um damit Marit Olsen zu töten. Er hatte einen ganz simplen Grund, hierherzufahren, er musste eine Leiche loswerden. Adele Vetlesen. Das hat der Dorfpolizist, Skai, uns sogar direkt gesagt, als wir das erste Mal hier waren. Dass das da drüben die tiefe Seite des Sees ist. Der Mörder hat ihre Hose mit Steinen gefüllt und Hosenbund und Hosenbeine mit Riemen zugebunden, ehe er sie über Bord geworfen hat.«
    »Woher weißt du, dass sie da schon tot war? Er könnte sie doch auch ertränkt haben.«
    »Sie hatte einen tiefen Schnitt im Hals. Wahrscheinlich ergibt die Obduktion, dass sie kein Wasser in den Lungen hat.«  
    »Und dass sie Ketanomin im Blut hat, wie Charlotte und Borgny«, ergänzte Beate.  
    »Inzwischen weiß ich, dass Ketanomin ein schnell wirkendes Betäubungsmittel ist«, sagte Harry. »Merkwürdig, dass ich noch nie etwas davon gehört habe.«  
    »So merkwürdig ist das nicht«, sagte Beate. »Das ist eine billige Kopie von Ketalar, das für Narkosezwecke genutzt wird und den Vorteil hat, dass die Patienten auch weiter aus eigenem Antrieb atmen. Ketanomin wurde in den Neunzigern in der EU und

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