Leopard
Hoffnung, vielleicht kann die Polizei tatsächlich Leben retten.
Ich habe das Bild von Adele ausgedruckt, das auf der Website der VG war, und es neben die Gästebuchseite aus der Håvasshütte an die Wand gehängt. Neben meinem stehen da nur noch drei Namen.
KAPITEL 37
Profil
A ls Tagesgericht im Schrøders gab es Bauernfrühstück, serviert
mit Spiegelei und rohen Zwiebeln.
»Lecker«, sagte Kaja.
»Der Koch scheint heute ausnahmsweise mal nüchtern zu sein«, stimmte Harry ihr zu und zeigte auf den Fernsehbildschirm an der Wand.
Kaja drehte sich um.
»Sieh einer an!«, sagte sie.
Mikael Bellmans Gesicht füllte den Bildschirm. Harry gab Nina ein Zeichen, dass sie den Ton einschalten sollte. Unterdessen studierte Harry Bellmans Lippenbewegungen. Die sanften, beinah femininen Züge. Die braunen, intensiv funkelnden Augen unter den wohlgeformten Brauen. Die weißen Flecken, die wie Schneeflocken auf der Haut aussahen, entstellten ihn keineswegs, sondern ließen ihn im Gegenteil nur interessanter erscheinen, wie ein exotisches Tier. Wenn er nicht, wie die meisten Ermittler, eine geheime Telefonnummer hätte, wäre sein Handyspeicher nach der Sendung wahrscheinlich voll von unzweideutigen und verliebten SMS . Plötzlich setzte der Ton ein.
»… in der Nacht zum 8. November in der Håvasshütte war. Wir bitten diejenigen, die zu besagtem Zeitpunkt dort waren, sich so schnell wie möglich bei der Polizei zu melden.«
Danach ging es zurück zum Nachrichtensprecher und weiteren Nachrichten.
Harry schob den Teller von sich weg und bestellte mit einem kurzen Wink Kaffee. »Lass mich hören, was du über den Mörder denkst, nachdem wir Adele gefunden haben. Gib mir ein Profil.«
»Wieso?«, sagte Kaja und nahm einen Schluck Wasser. »Ab morgen arbeiten wir doch sowieso wieder an anderen Fällen.«
»Nur zum Vergnügen.«
»Du findest die Profilerstellung eines Serienmörders vergnüglich?«
Harry saugte an einem Zahnstocher. »Ich weiß, es gibt eine richtige Antwort auf diese Frage, aber ich komme einfach nicht drauf.«
»Du bist krank.«
»Also, wer ist er?«
»Es ist immer noch ein Er. Und nach wie vor ein Serienmörder. Aber ich glaube nicht, dass Adele unbedingt sein erstes Opfer war.«
»Warum nicht?«
»Weil er keine Fehler gemacht hat, und dafür braucht man einen kühlen Kopf. Beim ersten Mord ist man selten so kaltblütig. Außerdem scheint er nicht beabsichtigt zu haben, dass wir sie finden, so gut wie er sie versteckt hat. Das wiederum heißt, dass er eventuell hinter einigen Fällen steht, die wir bisher als Vermisstensachen betrachtet haben.«
»Gut. Weiter.«
»Also …«
»Komm schon. Du hast gesagt, dass er Adele Vetlesen gut versteckt hat. Nach unserem Kenntnisstand ist sie sein erstes Opfer. Wie entwickeln sich seine Morde weiter?«
»Er wird mutiger, selbstsicherer. Er versteckt sie nicht mehr. Charlotte wird hinter einem Autowrack im Wald gefunden, Borgny im Keller der Baustelle eines Bürogebäudes mitten in der Stadt.«
»Und Marit Olsen?«
Kaja dachte lange nach. »Das ist fast schon zu auffällig. Er hat die Beherrschung verloren, seine Selbstkontrolle gerät aus den Fugen.«
»Wenn er nicht …«, sagte Harry, »das nächste Level erreicht hat und allen zeigen will, wie clever er ist, dann wäre es stimmig, die Morde zur Schau zu stellen. Der Mord an Marit Olsen im Frognerbad ist ein lauter Schrei nach Aufmerksamkeit. Zeichen mangelnder Kontrolle sehe ich da eigentlich nicht. Dass er ausgerechnet diesen Strick verwendet hat, lässt sich höchstens als unvorsichtig bezeichnen, aber ansonsten hat er keine Spuren hinterlassen. Oder was meinst du?«
Sie dachte nach und schüttelte den Kopf.
»Und jetzt Elias Skog«, sagte Harry. »Was ist dort anders?«
»Er foltert sein Opfer mit einem langsamen, qualvollen Tod«, sagte Kaja. »Da kommt der Sadist in ihm zum Vorschein.«
»Der Leopoldsapfel ist auch ein Folterinstrument«, sagte Harry, »aber ich stimme dir zu, bei dem Mord an Skog ist der Sadismus für uns zum ersten Mal sichtbar. Gleichzeitig will er uns mit dieser bewussten Entscheidung wohl demonstrieren, dass wir ihn nicht fassen werden. Er führt nach wie vor die Regie und hat alles unter Kontrolle.«
Eine Kaffeekanne und zwei Tassen landeten vor ihnen auf dem Tisch.
»Aber …«, sagte Kaja.
»Ja?«
»Ist es nicht sonderbar, dass ein sadistisch veranlagter Mörder den Tatort verlässt, ohne die von ihm verursachten Leiden und den Tod des Opfers bis zum
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