Leopardenblut (German Edition)
den Monaten ihres Aufenthalts bei den Wölfen offensichtlich an Berührungen gewöhnt und Sascha vermutete, dass die Erwachsenen versuchten, dies zum Wohle der Kleinen zu akzeptieren. Kein normaler Medialer hätte es je zugelassen, dass die Sorge für andere ihn irgendwie beeinflusste, aber man konnte die Laurens kaum als normal bezeichnen.
„Ich tue das nicht etwa für Sie, sondern ausschließlich für Toby und Marlee“, sagte Sienna trotzig zu Hawke.
Der Rudelführer salutierte spöttisch. „Gott behüte, du würdest doch nie tun, worum ich dich bitte.“
„Ich muss wissen, was los ist.“ Sienna sah ihre Onkel an. „Ich bin kein Kind mehr.“
„Halte die Verbindung.“ Aus Walkers Stimme konnte man nicht entnehmen, was er darüber dachte, dass Sienna sich auf die „dunkle Seite“ gestellt hatte, indem sie Hawkes Befehl gefolgt war.
Sie schwiegen, bis sich die Tür hinter Sienna und den Kindern geschlossen hatte. Dann sprachen sie über den Tod.
„Also erwarteten Sie zu sterben“, sagte Sascha.
„Sicher“, nickte Walker. „Aber wir wollten, dass Toby und Marlee noch eine Chance bekamen. Sie sind jung genug, um ein neues Leben anzufangen, ihr Verstand ist noch formbar. Wir hofften, sie würden die notwendige Trennung vom Medialnet überleben und auf irgendeine Weise neue Wege für ihren Verstand finden.“
„Und Sienna?“
„Sie war damals sechzehn.“ Walkers Augen waren kalt und Sascha stellte erst jetzt überrascht fest, dass sie genauso blassgrün wie Marlees waren. „Wir gingen davon aus, dass die Wölfe sie für gefährlich halten und auslöschen würden.“
„Und trotzdem haben Sie Sienna hergebracht?“ Lucas’ Stimme war wie ein Peitschenschlag. „Sie haben eine Jugendliche dem fast sicheren Tod ausgeliefert?“
Wenn Sascha es nicht besser gewusst hätte, hätte sie angenommen, Judd bisse vor Ärger die Zähne zusammen. „Wir hatten keine andere Wahl“, sagte der jüngere Mann. „Sienna wäre eher gestorben, als sich einer Rehabilitation zu unterziehen. Wenn wir sie nicht mitgenommen hätten, wäre sie uns von alleine gefolgt.“
Sascha streichelte Lucas mit der bislang verborgenen Seite ihres Wesens, die sie erst allmählich zu verstehen lernte. „Sie haben recht“, sagte sie. „Die Rehabilitation ist schlimmer als der Tod, schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst.“
Lucas ließ sich von ihr durch die energetische Umarmung beruhigen. „Warum habt ihr sie nicht getötet?“, fragte er Hawke.
„Wir sind ja nicht dumm – war doch klar, dass sie genau das erwarteten.“ Er ballte die Faust auf dem Tisch. „Aber wir nahmen sie lieber gefangen, um Lösegeld zu erpressen.“
„Wir erzählten ihm, dass der Rat das Lösegeld bezahlen würde und gaben auch den Grund dafür an“, sagte Judd. „Dadurch brachten wir ihn in eine schwierige Lage. Er konnte es sich nicht leisten, fünf mit dem Medialnet verbundene Mediale in seinem Territorium zu dulden, aber sein Gewissen erlaubte es ihm auch nicht, uns einfach zu töten oder der Rehabilitation auszuliefern. Er befahl uns, die Verbindung zu lösen.“
„Es war uns schon vorher klar gewesen, dass diejenigen von uns, die überleben würden, sich abtrennen mussten, um in Sicherheit zu sein“, ergänzte Walker. „Sobald der Rat unsere Flucht entdecken würde, hätte er das Medialnet genutzt, um uns auszulöschen. Kein Medialer wird abtrünnig.“
Judd sah Sascha direkt in die Augen und ihr fiel auf, wie unglaublich gut aussehend er war. Er besaß die perfekte Schönheit eines Medialen. „Der Einfall stammte von Sienna.“ Und er verhielt sich genauso förmlich wie sein Bruder.
„Welcher Einfall?“ Sascha war von den Laurens fasziniert. Die beiden Jüngsten schienen sich anzupassen und ihr Verstand war in der Lage, die Art der Gestaltwandler zu integrieren. Gleichzeitig schienen Judd und Walker in der Medialenwelt gefangen zu sein, weil sie wohl schon zu lange mit dieser Lüge gelebt hatten.
Diese Männer spürten im Gegensatz zu ihr offensichtlich nicht den inneren Drang, sich ihren Gefühlen zu öffnen. Und Sienna schien irgendwo dazwischen zu stehen. Mit sechzehn musste ihre Konditionierung so weit abgeschlossen gewesen sein, dass sie ihren Platz als Rädchen im medialen Getriebe hätte einnehmen können.
„Sienna kam auf die Idee mit dem Familiennetz“, sagte Walker und sah Sascha an. „Sie schlug vor, dass wir uns einer nach dem anderen vom Medialnet lösten, nur Zehntelsekunden voneinander
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