Ler-Trilogie 01 - Morgenrötes Krieger
Zeitspanne vom dre i ßigsten bis zum vierzigsten Lebensjahr umfaßte, im Schnitt maximal zweimal schwanger. Andere Dinge spielten jedoch eine weitaus größere Rolle: so zum Be i spiel die lange unfruchtbare Jugendzeit mit ihrer hohen sexuellen Aktivität, die dazu führte, daß der einzelne se i nem Wesen nach selbständig und individualistisch wu r de. Dann die kurze Fruchtbarkeitsperiode mit ihrer ach t zehnmonatigen Schwangerschaftszeit und schließlich und endlich ihre ursprünglich geringe Anzahl mit einem nur kleinen Spektrum erbbiologischer Varianten. In der A n fangsphase auf der Erde übernahmen sie verschiedene Familienmodelle, aber keines wollte ihnen so recht gefa l len. Deshalb entwickelten sie eine Struktur, die ihre Er b anlagen erweiterte, ihre Geburtenrate maximierte und die Erziehung der Kinder sicherstellte. Diese Struktur basie r te nicht wie bei den Menschen auf einem sozialen Au s tausch, der die einzelnen Gesellschaftsmitglieder auf ä u ßerst komplexe Art und Weise miteinander verknüpfte.
Die Webe wurde gegründet durch die Verbindung oder Verwebung eines Mannes und einer Frau gleichen Alters zur Zeit der Fruchtbarkeitsperiode. Sie verbanden sich in der Hoffnung, ein Kind zu zeugen, das sie als nerh oder älteren Außenverwandten bezeichneten. Im Standardalter von fünfunddreißig trennten sich die beiden und suchten sich einen neuen Partner. Jedes Paar zeugte ein weiteres Kind, das man mit dem Wort toorh oder I n nenverwandter bezeichnete. Danach verbanden sich die angenommenen Zweitpartner und zeugten ein letztes Kind, das sie thes oder jüngerer Außenverwandter nan n ten. Alle Personen lebten zusammen unter einem Dach.
In der Fruchtbarkeitsperiode verwoben sich die Inne n verwandten, die ja untereinander nicht blutsverwandt waren, da sie verschiedene Eltern hatten und bildeten den Kern einer neuen Webe-Generation. Die nerh und thes gliederten sich als Zweitpartner in andere Weben ein. Somit verteilte sich jede Kindergeneration auf insgesamt drei Weben. Dieser Prozeß verbreiterte die genetische Basis, verhinderte Inzuchtserscheinungen und stabilisie r te artspezifische Wesenszüge.
Sobald die innenverwandten Halbgeschwister sich verwoben hatten, gingen die Eltern der alten Webe ihre eigenen Wege und überließen das Haus und alles, was dazugehörte, der neuen Generation. Sie waren frei von jeglicher Verantwortung und konnten tun und lassen, was sie wollten. Einige blieben zusammen, andere suchten ihr Glück allein.
Soweit die Fakten; aber nur wenige Menschen – wenn überhaupt jemand – hatten eine Vorstellung davon, wie dies alles vor sich ging, zumal es sich von der menschl i chen Familienstruktur beträchtlich unterschied. Ab und zu versuchten auf einigen Planeten ein paar unterne h mungslustige Menschen Modelle analog den Ler-Weben zu verwirklichen. Diese Versuche dauerten meist nicht sehr lange an. Die inneren Spannungen waren einfach zu groß: emotional, sexuell und auch hinsichtlich der Eige n tumsfrage. Hinzu kam, daß die Webe ein Mechanismus zur vollen Ausschöpfung der Fruchtbarkeit war. Von Menschen praktiziert, war das so, als würde man Öl aufs Feuer gießen.
„Erzähle mir von deiner Familie, deiner Webe, deinen Freunden“, forderte Han sie auf. „Was macht ihr in der Schule? Ich glaube fast, du weißt mehr über unsere Art zu leben als ich über die eurige.“
Sie wandte sich ihm zu. „Nicht unbedingt. Du weißt, ich bin eine nerh. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo praktisch gesehen die Schule zu Ende ist; aber ich bin noch nicht alt genug, um als Zweitmutter in eine andere Webe einzutreten. Ich war Hausvorstand, zusammen mit den anderen Kindern me i ner Generation – so ähnlich wie die ältere Schwester bei euch –, allerdings mit mehr Autorität. Meine innenve r wandten Halbgeschwister hießen Dherlinjan und Follir i an. Sie hörten auf mich, aber sie wußten auch, daß sie nichts weiter zu tun brauchten, als zu warten: In deiner Kultur erhält der Älteste alles. In unserer erben allein die Innenverwandten – Haus, Titel, Name der Webe. Sogar die Eltern verlassen die Gemeinschaft, wenn die Inne n verwandten fruchtbar werden.“
„Wohin bist du gegangen? Haben sie dich vor die Tür gesetzt?“
„O nein.“ Sie lachte gedämpft und zurückhaltend. Es war das erste Mal, daß er sie lachen hörte. Es war ein entspannter, angenehmer Ton. „Bis dahin werde ich mich verwoben haben. Die thes bleiben zu Hause, bis sie g e wählt
Weitere Kostenlose Bücher