Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
wahrzunehmen. Morlenden wandte sich dem Zaun zu, stellte sich in Position, griff nach, fühlte die kalten Metallfäden und suchte versuchsweise mit seinen Zehen nach einem Halt zwischen den Metallmaschen. Fellirian half dem Mädchen auf Morlendens Rücken, legte ihm ihre Arme um den Hals, verschränkte ihre Hände für einen festen Halt, so daß sie ihre Position halten konnte, wie immer Morlenden sich auch beim Klettern über den Zaun bewegte.
Sie flüsterte Schaeszendur-Maellenkleth ins Ohr: „So ist es brav.
Ja, genauso, halt dich fest, was auch geschieht; halte dich an Morlenden fest.“
Dann zu Morlenden: „Wir müssen uns beeilen, Olede, die Lichter sind jetzt ganz nahe. Ich werde versuchen, sie von dir abzulenken.“ Sie entzog ihm plötzlich ihre Anwesenheit.
Es war richtig. Er konnte deutlich die Geräusche in dem Gebüsch unten im Wald hören, nun gar nicht mehr weit weg. Er holte tief Luft, spannte seine Muskeln. Noch ein Hindernis, und wir sind drüben. Sie werden es nicht wagen, uns auf der anderen Seite des Zauns anzurühren. Er holte noch einmal tief Luft, packte das kalte Metall fester und stieß sich ab. Er konnte nicht nach oben sehen, ohne die Position des Mädchens zu verrücken. Er machte den ersten Schritt nach oben, spürte das volle Gewicht des Mädchens, das sich auf seinen Rücken senkte, sich über seine Arme auf seine Hände verteilte und seine Finger auf den Draht drückte.
Hinter sich hörte er Fußtritte auf dem Boden und heftiges Scharren links von ihm aus der Richtung, in die Fellirian weggegangen war. Dann kamen aus dieser Richtung noch weitere Geräusche, aber aus größerer Entfernung. Und direkt hinter ihm war plötzlich ein lautes Rascheln im Gebüsch, Fußtritte stampften auf dem harten Boden, und ein aktinisches Licht warf seinen grellen Schein über seine Hände auf den Zaun.
Er hörte eine Stimme, die in Modanglisch brüllte: „Da sind sie, zwei von ihnen, auf dem Zaun!“
Eine zweite Stimme rief heiser: „Ihr da! Ihr da, halt! Runter da, aber sofort!“
Morlenden schüttelte als Geste für sich selbst leicht den Kopf und kletterte einen weiteren Schritt nach oben. Hinter ihm gab es wieder Bewegung, Scharren, heisere Ausrufe, Beschimpfungen, Flüche, und als jemand ein unverständliches Wort rief, hörte er ganz nahe das gleiche seltsame Geräusch, das er schon zuvor gehört hatte. Ein Sausen, ein Zischen, sehr nahe, besonders laut. Er spürte, wie sich der gesamte geschmeidige Körper des Mädchens scharf verkrampfte, hörte, wie es, wie in großer Anstrengung, ein kurzes Stöhnen von sich gab. Ihr Griff um seinen Hals verstärkte sich konvulsivisch, so daß sie ihm die Luft abdrückte. Sie hustete feucht, und der feste Griff um seinen Hals lockerte sich. Gleich würde sie ihn loslassen und herunterfallen; Morlenden ließ den Zaun los und glitt herunter, und als er den festen Boden unter den Füßen spürte und sich herunterbeugte, um ihren Fall zu dämpfen, verlor ihr Körper jede Spannung und glitt von ihm herunter, um in fast der gleichen Stellung gegen den Zaun zu fallen, in der sie sich vor nur wenigen Augenblicken noch ausgeruht hatte. Morlenden drehte sich um.
Er spürte, wie eine schwarze, verzehrende Wut in ihm hochstieg, seinen Blick verzerrte und seine Wahrnehmungen veränderte. Er fühlte sich größer, spürte, wie die Zeit langsamer verstrich und wuchs zu etwas Fremdem, zum entfesselten Bösen, ballte krampfhaft die Fäuste und atmete tief und gleichmäßig ein. Morlenden drehte sich um und zog sein Fischmesser aus dem Gürtel. Er sah vor sich ein verschwommenes Bild von Aktionen.
Sie waren alle da – Fellirian, Krisshantem, Cannialin, Kaldherman – und bewegten sich in einem Kreis um eine kleine Gruppe von fünf Menschen, von denen einer sich mit einem sperrigen länglichen Gerät abmühte, das in seinen Umrissen einem Gewehr ähnelte, aber eigentlich kein Gewehr im traditionellen Sinne war. Die übrigen vier schienen ihn zu beschützen. Es hatte den Anschein, als bemerke keiner von ihnen Morlenden, so genau beobachteten sie die Gestalten, die sich in pfeilschnellen, tanzenden Figuren von außen ihrer Gruppe näherten. Morlenden packte das lange, dünne Messer in seiner Hand fester und schritt wie ein unverwundbarer Schlafwandler aus. Sie sahen ihn nicht, den Unsichtbaren, und er würde sich unter sie mischen wie der Engel des Todes. Er fühlte sich wie Kris, mehr noch, er war unverwundbar und unsichtbar, verzaubert. Die anderen zogen sich
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