Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
„Eliya, womit haben sie das Mädchen erschossen?“
Ihre Stimme war flach, zu stark kontrolliert. „Ein widerliches Ding, ein Lenkdrahtgewehr. Es verschießt eine kleine Rakete mit einem Sprengkopf, der mit Widerhaken versehen ist. Die Rakete ist über einen Draht mit dem Gewehr selbst verbunden, das den Flug mit einem Computer verfolgt und lenkt. Man muß nur noch das Ziel im Visier halten. Das benutzen sie gern bei Flüchtlingen … Versteht ihr? Wer von einem solchen Ding getroffen wird, kann nicht mehr entkommen, selbst wenn er nicht tödlich verletzt ist.“
Morlenden sagte trocken: „Jetzt verstehe ich das Waffenverbot besser …“
„Ja“, sagte Fellirian. „Genauso geht es uns allen, die wir hier waren. Eine Waffe, die die Hand verläßt, vergrößert den Benutzer zu sehr, so sehr, daß oft der ursprüngliche Wille, der die Waffe gelenkt hat, verlorengeht, ausgeweitet wird, verdünnt wird. Er wird verwaschen. Und das ist der Grund, warum uns vieles Angst macht, das mit Technologie zu tun hat, warum wir uns so sehr abmühen, unsere Unschuld zu bewahren; auch andere Dinge vergrößern auf die gleiche Art, und wir sind noch nicht weise genug, um zu wissen, ob wir das vergrößerte Bild von uns selbst wirklich sehen wollen … bis wir eine bessere Kontrolle über uns selbst haben. Wir sind noch lange nicht beherrscht genug. Wäre es nur bei ihnen auch so.“
Morlenden sagte: „Unschuld … ich fühle mich nicht unschuldig. Da ist Blut.“
Cannialin unterbrach sie: „Schscht! Hört mal!“
Auf ihren Befehl hin wurden alle fünf, die dort in einem Kreis standen und sich anschauten, still und hörten hin. Schaeszendur. Das Mädchen war noch nicht tot. In der Stille nach dem Kampf konnten sie sie von dem Zaun her hören, wo sie hingefallen war. Sie war jetzt noch durch den Schock vor dem Schmerz geschützt, der sonst gekommen wäre, und plapperte sinnlos vor sich hin. Sie sprach, aber das meiste davon war Geplapper, Unsinn, noch nicht einmal Worte. Die tödliche Verwundung, die sie erhalten hatte, die Erschöpfung, die instabile, neu eingepflanzte Persona, all das kam jetzt zusammen. Sie hörten der leisen, heiseren, kindlich hohen Stimme zu. Nur Geplapper. Morlenden spürte einen riesigen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Sie wandten sich von der Stelle ab, an der sie gemordet hatten, wo sie heißblütig mit den Menschen, den Vorläufern, gekämpft hatten, und gingen langsam zu dem Zaun und damit zu ihr.
Sie knieten alle nahe bei ihr nieder. Sie lag noch halb gegen den Zaun gelehnt, wie sie sie zurückgelassen hatten. Morlenden nahm ihren Kopf auf den Schoß, spürte das weiche, dunkle Haar, die warme Haut am Nacken. Er wischte ihren Mund ab; in einem Winkel hatte ein Blutstropfen gestanden. Und er wischte ihr das jugendliche Haar aus der Stirn, aus ihren Augen. Sie runzelte für einen Moment seltsam die Stirn.
Ihre Augen waren offen gewesen, hatten sich aber ziellos und irgendwie unabhängig voneinander bewegt. Sie sah nichts außer einer künstlichen Szene in ihrem Inneren, die Krisshantem in sie eingepflanzt hatte … eine Erinnerung. Ohne Warnung aber verschwand der Ausdruck von Schock und Verwirrung von ihrem Gesicht und verwandelte sich schnell und radikal in etwas anderes. Die Konturen ihres Gesichts begannen, sich zu verschieben, als gehorchten sie Anweisungen von einem anderen Satz Muskeln, einer anderen Persönlichkeit. Die kindliche Rundheit verringerte sich und verschwand und wurde von einem härteren Ausdruck um das Kinn ersetzt, der erwachsener wirkte, und die Augenpartie wurde angespannter und konzentrierter. Die Augen wurden klar, nahmen die Umwelt auf, wurden erst ruhig und dann angespannt. Sie sah sie alle genau an, ohne die Augen zu bewegen, sah von Gesicht zu Gesicht, und als sie zu Kris kam, blieb ihr Blick besonders lange an ihm hängen. Morlenden erkannte den Ausdruck in den Augen sofort: Es war der Blick von jemandem, der Fremde sah und nicht wußte, wie sie hergekommen waren. Nur Kris war ihr bekannt. Er wußte es. Maellenkleth kannte von ihnen nur Kris, während Schaeszendur sie alle gleichermaßen gekannt hatte. Das war Maellenkleth – wie das möglich war, das wußte er nicht, aber es war unbestreitbar Maellenkleth.
Sie holte tief Luft und zerbrach dabei etwas in sich. Sie hörten ein Rasseln in ihrem Hals. Sie packte Morlenden, der ihr am nächsten saß, mit einem tüchtigen, erschreckend starken Griff und zog ihn an sich, so daß sein Gesicht nahe an ihrem war. Alle
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