Lerchenherzen
ein. Sie soll also was Kleines bekommen, die andere. Als sie ihm das erzählt, hat sie ihre blanken Augen so vertrauensvoll auf ihn gerichtet, daß ihm klar ist – da gibt es nur eines zu tun. Er weiß nicht, ob sie eventuell von Mathilde und den Nächten in der Scheune vage etwas ahnt. Er wird es nie erfahren.
Bei all der Verzweiflung fühlt es sich doch irgendwie gut an, jetzt handeln zu müssen. Er will ja mit der ganzen Geschichte schon seit dem Sommer Schluß machen. Daß Mathilde traurig sein wird, hat er erwartet. Nur daß sie dermaßen verzweifelt sein würde, nein, das hat er nicht geglaubt. Daß das Leben so schwer sein kann! Er hebt einen Stein auf und wirft ihn voller Wut weit weg, ehe er ins Waschhaus schlüpft, wo er sein Zimmer hat. Am nächsten Tag ist er fort.
Ich weiß nicht, ob es sich wirklich so zugetragen hat. Aber so kann es gewesen sein. Als Anna wegging und in aller Stille diesen Schweizer heiratete, da wurde in der Gemeinde schon getuschelt. Sie ließen sich in seiner Heimatgemeinde nieder und bekamen mehrere Kinder.
Aber sollte er nicht … sagten die Leute. Waren nicht er und Mathilde ein bißchen … und so. Das Gerede legte sich rasch.
Mathilde war in den folgenden Wochen vielleicht ein bißchen blasser. Und im Winter war sie in Oslo, um die feine Haushaltsführung und das Nähen zu erlernen. Ja, ja. Es muß natürlich immer etwas Besonderes sein bei denen auf Ås. Vornehme Haushaltsführung!
Im Laufe des Sommers kam sie wieder nach Hause zurück, und von da an hatte sie jenen verbissenen, bitteren Zug, an den ich mich so gut erinnere.
Und so vergingen die Jahre. Wie glänzende Glasperlen auf einer Schnur, so reihten sie sich aneinander. Mathilde lebt zusammen mit ihrem Vater, Anders Irgendeiner, der mit der Zeit immer reizbarer wird, launenhaft und aufbrausend. Die werden schon noch gewahr werden, daß er nicht irgendeiner ist!
Aber unsterblich ist er ja nicht, und an einem bitterkalten Wintertag kommt Bless nach Hause getrottet vom Wald, wo sie zum Holzeinschlagen waren. Anders hängt quer über einem enormen Birkenstamm hinten auf dem Pferdeschlitten. Das Herz, sagen die Leute, und damit haben sie auch recht. Er hat wohl zu hart zugepackt, der alte Dicckopf.
Mathilde richtet das Begräbnis aus, mit frischem Fleisch und Brühe, so, wie es sich gehört. Ob sie den Vater betrauert, zeigt sie nicht, aber das hat auch keiner von ihr erwartet.
Dann macht sie weiter, wie gehabt. Kommandiert die Dienstmädchen und die Knechte herum, streng, aber eigentlich nicht ungerecht. Sie ist nur so mürrisch und schroff. Ein Lächeln und freundliche Worte hat sie nur für die Katzen übrig. Und selten einmal für Ragnhild, merkwürdigerweise.
14
Ragnhild ist die Tochter von Asta, die Mathilde während ihres ersten Lebensjahres so unermüdlich wiegte. Asta hatte früh geheiratet und war eine Bauersfrau mit rasch wachsender Kinderschar geworden. Ragnhild, die geboren wird, als Mathilde auf der »vornehmen Haushaltungsschule« weilt, ist das siebte Kind auf dem Kleinbauernhof. Ein paar Jahre vor ihr kamen Zwillinge und im Jahr darauf kommen wieder Zwillinge, vier richtige Rabauken, die ihrer friedliebenden Schwester das Leben ordentlich schwermachen.
Deshalb wundert sich keiner, wenn Ragnhild ab und an gern der Unruhe und dem Spektakel entkommt. Aber daß sie ausgerechnet den Weg nach Ås findet und sich dermaßen Mathilde anschließt, daran stoßen sich doch etliche. Mathilde ist nicht unbedingt dafür bekannt, daß sie gut mit Kindern umgehen kann.
Gleichwohl verbringt also Ragnhild aus freiem Entschluß viel Zeit ihrer Kindheit in der seltsamen Atmosphäre auf dem Hof unter der Essensglocke – und ohne sichtbaren Schaden davonzutragen. Sie ist beim Vieh und in den Ställen anzutreffen, spielt mit den Katzen, es gibt jede Menge Katzen auf Ås. Oder sie schaukelt auf der großen Schaukel, die ganz hinten im Garten an der Eiche hängt.Sie baut sich kleine Bauernhöfe, wo die großen Tannenzapfen Kühe und die etwas kleineren Kiefernzapfen Schafe und Schweine darstellen. Eicheln sind Hühner und Katzen.
Und immerzu singt sie, summt und singt sie kleine Melodien und Verse, die sie in der Schule oder sonstwo gelernt hat. Man weiß immer, wo sie ist, deshalb ist es leicht, auf dieses Kind achtzugeben.
Mathilde hat Ragnhild sehr gern, auch wenn sie das nicht oder nur selten zeigt. Im Gegenteil, sie kann schroff und ungeduldig sein, obwohl Ragnhild doch ein so vernünftiges Kind ist und recht
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