Lerchenherzen
Augenblick lang an deine preßt?
Jetzt sinkt der Ton der Zentrifuge und erstirbt schließlich ganz. Mathilde läßt Sahne Sahne sein und sinkt auf den dreibeinigen Schemel, der dort steht. Es ist derselbe, auf dem sie als Kleine stand, auf dem ich – wir – oftmals gestanden haben, wenn wir die Kurbel der Milchschleuder für einen Erwachsenen drehten.
Mathilde sinkt auf den Schemel und schlägt die Schürze vors Gesicht. Ihr aufrechter Rücken krümmt sich, aber nur für einen Augenblick, dann hört sie die Tür des Kuhstalls. Sie legt Schürze und Gesicht wieder in ordentliche Falten und gibt der Zentrifuge Schwung, denn es könnte ja sein, daß die Magd auf dem Weg zum Vorderhaus ihren Kopf hereinstreckt. Wer ein Unglück als heimliche Bürde trägt, kann niemals vorsichtig genug sein.
17
Als Ragnhilds Konfirmation ansteht, richtet ihr Mathilde das Fest aus. Sie lädt das halbe Dorf ein und macht alles so großartig, daß der armen Konfirmandinziemlich unwohl zumute ist. Ein solches Aufhebens um ihre Person ist sie weder gewöhnt, noch gefällt ihr das. Aber so wie Mathilde Herr ist über alles übrige auf Ås, so bestimmt sie auch hierüber. In rauhen Mengen wird geschlachtet und gebraut und gebacken, und obendrein näht sie Ragnhild auch noch das Konfirmationskleid, weiß und knöchellang, so wie es damals üblich war.
Leise vor sich hin singend schickt sich Ragnhild in die Situation, friedlich wie sie nun mal ist, jedenfalls in ihrer Jugend. Auf dem Konfirmationsphoto, das von ihr im Garten unter dem Flieder aufgenommen wurde, lächelt sie ruhig und heiter in die Kamera. Den Kopf hält sie leicht erhoben, und ihr Mund steht offen. Fast meint man sie in den Apparat singen zu hören. Zuversichtlich. Sie war damals so zuversichtlich.
Nicht, daß sie nicht wüßte, was sie will. Auf jeden Fall will sie in Ruhe und Frieden mit den Leuten leben. Die Unruhe mit den Brüdern während ihrer Kindheit hat sie schnell gelehrt, daß es das klügste ist, nachzugeben. Und im Umgang mit ihrer mürrischen Tante Mathilde hat sie gelernt, daß die Leute oft nicht so übel sind, wie sie wirken, wenn man sich nur die Zeit nimmt und ordentlich hinschaut.
Jetzt sitzen sie also an ihrer Konfirmationstafel, alle ihre acht Geschwister. Das älteste Zwillingspaarwird siebzehn Jahre alt, und die beiden sind schon zweimal eine Saison auf einem Walfänger gefahren. Sie schenken ihrer Schwester eine Truhe aus dem Holz des Kampferbaums, und sie haben auch das Geschenk der jüngsten Zwillinge bezahlt, einen schicken Koffer mit braunen, ledernen Ecken.
»Du mußt mal rauskommen, Ragnhild«, sagen sie und sind starke Männer mit der Erfahrung der sieben Meere und der vier Himmelsrichtungen. »Du mußt etwas von der Welt sehen.« Und so stehen sie nach dem Essen auf dem Hofplatz von Ås und werfen um sich mit »Cape Town« und »Las Palmas« und recken dabei ihr flaumiges Kinn hoch in die Luft. – Jawohl, hier sind Burschen, die haben schon was von der Welt gesehen!
»Ich würde so gern mal nach Oslo fahren«, sagt Ragnhild. Bei einem so naiven Wunsch können die weltumsegelnden Brüder natürlich nur verächtlich schnauben. Oslo!
Die jüngeren Buben hingegen sind noch nicht zu alt, um Unfug anzustellen, im Gegenteil haben sie begriffen, daß sie sich beeilen müssen, um das noch hinzubekommen. Im übrigen ist es schon schmachvoll mit Brüdern, die so groß geworden sind und weitgereist. Sie fangen an, die Hühner zwischen all die Konfirmationsgäste mit ihren Sonntagskleidern zu scheuchen, und hören weder auf die nervösen Ermahnungen ihrer Mutter:»Pack den einen und schlag damit den anderen«, noch auf das vorsichtige »Nun reicht's aber, Jungens« ihres Vaters.
Sie geben keine Ruhe, nicht ehe Mathilde mit der Kaffeekanne in der Hand aus der Küche gesaust kommt und wütend zischt: »Jetzt benehmt euch mal anständig!« Dann bittet sie nach drinnen zu Kaffee und Apfelkuchen, und die Hühner können ihr friedliches Picken auf dem sonnigen Hof fortsetzen.
Ragnhild bleibt noch einen Moment in der Sonne stehen. Heute ist sie Ehrengast und braucht nicht mitzuhelfen. Sie blickt hinüber zur Jakobsau, der Niederung, wo die Scheune steht, deren Farbe abblättert, im Hintergrund die blauenden Berge. Und sie denkt an den Koffer und daß sie, selbst wenn sie ihr Leben lang hier im Ort leben soll, doch gern einmal in Oslo gewesen sein würde, in Norwegens Hauptstadt.
18
Vier Jahre dauert es, ehe sie fortkommt. Vier Jahre als Dienstmagd
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