Lerchenherzen
Hahn, weil es sein erster Ausflug unter freiem Himmel um diese Zeit ist und vielleicht, weil er die Hennen von Lund von früheren Besuchen her kennt.
Und es geht, wie es schon bei früheren Gelegenheiten gegangen ist. Harriet wundert sich, daß er diesen wunderbaren Hahn loswerden will, und nach angemessenem Feilschen wechselt der Hahn den Besitzer, mit gegenseitigen Versprechungen über Fristen und Abbezahlen.
Sie trinken mit Peder Kaffee, er sitzt in seinem Stuhl und schaukelt. Peder ist jetzt im großen und ganzen gesehen sich hin- und herwiegender guter Wille. Etwas anderes ist er nicht mehr gewesen, seit er vor einigen Jahren mit dem Krankentransport vom Fanggebiet zurückgebracht worden ist. Am meisten vergnügt ist jedoch der Hahn, weil er im Hühnerstall auf Lund landet, wo er unter gutwilligen Hühnern gackerndes Durcheinander weckt und im Laufe von ein paar Stunden den heimischen Hahn zu einem bemitleidenswerten, neurotischen Federball reduziert.
Zu Hause weinen die Kleinsten über den Verlust des Hahns und über ihren Vater, der nichtwiederzuerkennen ist. Milda und die Øltesten trocknen die Tränen und tun ihr Bestes, um sich selbst und die anderen zu überzeugen, daß alle beide, Vater und Hahn, wohlbehalten wieder auftauchen werden.
Hin und wieder gleitet Sverre dann aber doch durch die Maschen des Netzwerks, und wenn er außerhalb dieser Fürsorge landet, dann geht es schief. Den schönen goldenen Ring mit der Perle, den sie von Großmutter Katrine geerbt hat, sieht Milda nie mehr wieder.
44
Klein Solfrid hat immer geglaubt, daß Hühner an Sonntagen anders gackern als unter der Woche. Besonders an Sonntagen, an denen die Sonne scheint, behauptet sie steif und fest und kümmert sich nicht darum, daß die anderen Kinder sie foppen.
»Puh, Sonntagsgackern, du spinnst ja! Gibt es bei euch vielleicht auch ein Weihnachtsgackern?«
»Es stimmt aber, sie gackern sonntags anders. Hör doch mal!«
Und die Hühner auf Rønnigen gackern an diesem frühen Sonntagmorgen wahrhaftig ausgesprochenvergnügt. Das mag daran liegen, daß sie einen funkelnagelneuen Hühnerstall bekommen haben. Oder gackern sie so vergnügt, weil ihr Hahn von einem seiner zahlreichen Ausflüge nach Lund zurückgekehrt ist? Glänzend schwarz, mit rotem Kamm stolziert er auf dem sonntäglich stillen Hofplatz umher und ist mehr denn je Hahn im Korb. Der Hahn auf Rønnigen ist vermutlich der einzige, der von Sverres Verkaufsattacken begeistert ist.
Die weißen Hühner trippeln friedlich um den Hahn herum und haben so viele freundliche Laute in der Kehle, wie nur Hühner sie haben können. Ob das nun ein sonntägliches oder ein alltägliches Gackern ist, darüber denkt keiner nach.
Auch nicht Sol, denn sie ist ganz und gar mit anderem beschäftigt. Der Boden über dem Waschhaus, der früher als Hühnerstall diente, soll zum Schlafzimmer für die ältesten Mädchen umgebaut werden. Der Hühnermist ist hinausgeschaufelt worden, und jetzt sollen Wände, Fußboden und Decke eine neue Holzverkleidung erhalten. Die Bretter liegen als duftender Stapel auf dem Hofplatz und warten auf Hammer und Nägel.
Heute aber nicht. Sonntag ist Ruhetag, auf Rønnigen wie auf den meisten anderen Höfen des Ortes. Nur die Viehställe und anderes Notwendige wird erledigt. Sonntag, das sind Gottesdienste im Radio und Fleischklöße mit grünen Erbsenund Zwetschenpudding zu Mittag. Sonntag ist ein langer und wunderbarer Mittagsschlaf – hinter verschlossener Tür – für die Erwachsenen, und wenn sie endlich soweit sind, wieder zum Leben zu erwachen, Sirupkuchen mit Banane zum Kaffee für eine ungeduldige Kinderschar, wo die Øltesten sich mit harter Hand der Erziehung der Kleineren angenommen haben.
Sonntag. Die leuchtenden, sonnigen Sonntage meiner Kindheit, mit dem trägen Gesumm der Fliegen, dem gutmütigen Grunzen der Schweine und dem feiertäglich klingenden, friedlichen Glucken der Hühner, was ist aus ihnen geworden? Werde ich diese sonnenglänzenden, sorglosen Sonntage jemals wieder erleben? Und du, wirst du viele von ihnen erleben?
Zum Frühstück gibt es auf Rønnigen Ei mit Anschovis, zwar nicht an jedem Sonntag, aber heute ist so einer. Die Kinder haben den Inhalt der kleinen Anschovisbüchse brüderlich genau untereinander aufgeteilt, einen für jeden und für Vater zwei. Die Kleinsten haben das Ritual mit den leeren Eierschalen, die umgekehrt in den Eierbechern stecken, vollbracht. Und die Øltesten haben sich gutwillig foppen
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