Lerchenherzen
und beinahe wortlos – es gibt keine Worte, und es bedarf keiner Worte. Schließlich landen sie an der Badestelle am Fluß, nach dem sie sich unerlaubterweise durch das meterhohe, taunasse Gras von Sverres Wiese vorgearbeitet haben. Dort finden sie zum allerersten Mal zueinander. Eine milde Sommerbrise streicht über ihre erhitzten Körper und kühlt sie ab. Danachbaden sie nackt in dem eiskalten Wasser des Flusses und sehen die Sonne über den Hügeln aufgehen, ehe sie nach Hause gehen zu einem ganz und gar neuen Alltag.
50
Anfangs soll keiner von ihrem Geheimnis wissen. Jedenfalls glauben sie, daß es ein Geheimnis ist, denn sie ahnen nicht, daß die Verliebtheit ihre Augen leuchten läßt, daß ein Schimmer über ihrer Haut liegt und sie sich auf eine Weise bewegen, die allen und jedem zeigt, daß da etwas ist.
Solfrids Vater beobachtet seine Tochter, die leise vor sich hin singend ihre Arbeit zu Hause verrichtet. Sie hatte immer ihre Aufgaben im Haushalt und auf dem Hof. Eine Zeitlang erledigte sie die eher unwillig und schludrig, wollte lieber zu den Freunden. Jetzt ist sie umgänglich und willig, hat aber etwas Fernes, Entrücktes an sich, das ihn traurig stimmt.
Während ihrer Kindheit haben sich die beiden sehr nahe gestanden, ja auch noch in Solfrids ersten Jahren als Jugendliche, denn Solfrid fiel es immer leichter, mit ihm zu reden als mit der strengeren Mutter. Und da die Mutter in all den Jahrenwenig Energie hatte, war es meist der Vater, der sich um Solfrid kümmerte.
Jetzt wächst ihm die Tochter aus den Händen, beinahe über Nacht. Sie ist ebenso liebevoll, ja vielleicht sogar liebevoller als früher. Manchmal fällt sie ihm einfach um den Hals und reibt ihre Wange an seinem Stoppelbart, gibt ihm alle möglichen Spitznamen, wie immer. Es kommt ihm aber so vor, als ob sie nicht ganz bei der Sache ist, als ob ihre Gedanken woanders weilen. Die Zärtlichkeiten haben etwas Abwesendes, so daß er sich ein bißchen wie ein trauriger alter Hund fühlt, den man am Türpfosten vergessen hat. Ein Teil von ihm möchte den Kopf in den Nacken legen und traurig den Mond anheulen, ein anderer hingegen sich aufrichten und sie gegen das Neue und Fremde verteidigen – sie ist doch noch ein Kind!
Trotz dieser etwas merkwürdigen Gefühle nimmt er lächelnd Anteil an dem, was mit der Tochter geschieht, was sie so schön erblühen läßt und aller Welt zeigt, daß er, Herman, eine erwachsene und hübsche Tochter hat. Und daß er schnell merkt, wohin ihre Gedanken wandern, hilft ihm. Er hat Nils-Jan immer gern gehabt.
Die Mutter reagiert wie auf das meiste hier auf dieser Welt mit Øngsten. Sie hat nie mit Solfrid darüber geredet, wie es ist, eine erwachsene Frau zu werden. Gab ihr nur an dem Tag, an dem es soweit war, was sie brauchte, und ließ gleichzeitigeine düstere Bemerkung darüber fallen, daß sie nun erwachsen sei und gut auf ihren Körper aufpassen müsse.
Solfrid weiß aber schon gut Bescheid, als die Menstruation einsetzt. Inger auf Rønnigen und andere ältere Freundinnen haben dafür gesorgt, daß sie gut vorbereitet ist. Dieses Wissen wird wohl öfter von den älteren auf die jüngeren Mädchen vererbt als von Müttern auf ihre Töchter.
Jetzt schaut die Mutter voller Sorge auf die Tochter, ohne jedoch mehr als vorsichtig sagen zu können: »Du paßt doch gut auf, Sol?« Nachts faltet sie hinter dem Rücken des schlafenden Mannes ihre Hände und murmelt ein Gebet in den halbdunklen Raum, während sie auf das vertraute Klicken des Haustürschlosses wartet, das ihr anzeigen soll, wann die Tochter heimkommt. Da ist es oftmals schon heller Morgen.
Die Eltern machen beim Frühstückstisch den Versuch, Sol zu ermahnen, aber da sie beide so scheu sind, kommen nur vage Sprüche wie »selbst auf sich aufpassen« heraus. Und Solfrid nimmt die wohlgemeinten Ratschläge mit dem Gefühl, unendlich viel älter und gescheiter zu sein, lächelnd entgegen.
Leichtfüßig läuft sie jeden Abend über die Au zu Jakobs Scheune. Verliebt und wie benommen vor Glück fällt sie in seine Arme, er wartet schon, und sie genießen jede Sekunde, ohne einen einzigenGedanken daran, daß etwas passieren könnte. Und was, wenn? »Dann müssen wir heiraten!« sagt sie sorglos und zieht ihn mit sich den Hügel hinter der Scheune hinauf, um das Grundstück zu vermessen, das sie von ihrem Paten, dem alten Jakob, zur Taufe geschenkt bekommen hat.
Und Nils-Jan, mit seiner von Natur aus wesentlich stärker ausgeprägten Anlage
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