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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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ein.
    »Ich muß Sie mit der Revolution in Fühlung bringen«, flüsterte er beim Eintreten.
    Marius wurde den Freunden des ABC vorgestellt:
    »Ein Schüler.«
    Er geriet in ein Wespennest der Geister. Bisher war er ein Einsiedler gewesen, der den Monolog pflegte, und darum war er zunächst verschüchtert, als er so viele junge Leute um sich sah. Das erregte Auf und Ab der Ideen verwirrte ihn. Manchmal verstiegen sie sich in Regionen, in die er ihnen kaum folgen konnte. Er hörte von Philosophie, Literatur, Kunst, Geschichte und Religion auf eine Weise sprechen, die ihn überraschte. Als er die Ansichten seines Großvaters mit denen seines Vaters vertauscht hatte, war er der Meinung gewesen, jetzt habe er eine Grundlage für sein Leben geschaffen. Beunruhigt, und ohne es sich recht einzubekennen, merkte er jetzt, daß er voreilig gewesen war. Wieder verschob sich der Gesichtswinkel, in dem er die Dinge sah. Er litt fast darunter.
    Übrigens schien es, daß es für diese jungen Leute nichts Heiliges gab. Über alles wurde höchst sonderbar und in einer Weise gesprochen, die Marius’ schüchternen Geist verletzte. Niemand sagte hier: der Kaiser. Jean Prouvaire nannte ihn Napoléon, die andern sagten Bonaparte, Enjolras sogar Buonaparte. Marius wunderte sich. Initium sapientiae.
Res angusta
    Die Wirklichkeit des Lebens ließ sich nicht verdrängen. Mit erstaunlicher Ellbogenkraft machte sie sich geltend.
    Eines Morgens trat der Hotelwirt in Marius’ Zimmer und sagte:
    »Herr Courfeyrac hat für Sie gebürgt.«
    »Ja.«
    »Aber ich brauche Geld.«
    »Bitten Sie Courfeyrac zu mir.«
    Marius erzählte Courfeyrac, daß er so ziemlich allein in der Welt stünde und keine Verwandten habe; bisher hatte er nicht daran gedacht, es ihm zu sagen.
    »Nun, was soll werden?« fragte Courfeyrac.
    »Ich weiß nicht.«
    »Was wollen Sie tun?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Haben Sie Geld?«
    »Fünfzehn Franken.«
    »Soll ich Ihnen welches leihen?«
    »Gott bewahre!«
    »Haben Sie Kleider?«
    »Was Sie hier sehen.«
    »Schmuck?«
    »Eine Uhr.«
    »Ist sie von Silber?«
    »Von Gold, sehen Sie.«
    »Ich weiß einen Händler, der Ihnen Ihren Rock und Ihre Hosen abnehmen wird.«
    »Gut.«
    »Aber Sie haben dann nur mehr eine Hose, eine Weste, einen Hut und einen Stock.«
    »Und meine Schuhe.«
    »Was, nicht einmal barfuß müssen Sie laufen? Welch ein Luxus!«
    »Es wird reichen.«
    »Und einen Uhrmacher weiß ich, der Ihre Uhr kaufen wird.«
    »Gut.«
    »Nein, das ist gar nicht gut. Was werden Sie nachher tun?«
    »Alles, was notwendig ist. Zumindestens alles, was anständig ist.«
    »Können Sie Englisch?«
    »Nein.«
    »Deutsch?«
    »Nein.«
    »Schade.«
    »Warum?«
    »Einer meiner Freunde, ein Verleger, gibt eine Art Lexikon heraus, für das Sie deutsche und englische Artikel übersetzen könnten. Übersetzungen werden schlecht bezahlt, aber man lebt davon.«
    »Gut, ich werde Englisch und Deutsch lernen.«
    »Und bis dahin?«
    »So lange kann ich meine Kleider und meine Uhr aufessen.«
    Man ließ den Händler kommen. Er zahlte für die Kleider zwanzig Franken. Der Uhrmacher gab für die Uhr fünfundvierzig.
    »Ist nicht einmal übel«, meinte Marius zu Courfeyrac, »mit meinen fünfzehn Franken macht das achtzig.«
    »Und die Hotelrechnung?«
    »Holla, die habe ich vergessen!«
    Der Wirt präsentierte seine Rechnung, die sofort beglichen werden mußte. Sie belief sich auf siebzig Franken.
    »Jetzt bleiben mir noch zehn.«
    »Hol’s der Teufel«, meinte Courfeyrac, »fünf, um Englisch zu lernen, und fünf für Deutsch. Sie werden die Sprachen entweder sehr rasch lernen oder mit einem Hundertsousstück sehr lang leben müssen.«
    Inzwischen hatte Tante Gillenormand Marius’ Wohnung ausfindig gemacht. Als Marius eines Morgens von der Universität nach Hause kam, fand er einen Brief und die sechzig Pistolen, also sechshundert Franken in Gold, in einer versiegelten Schachtel.
    Marius schickte das Geld seiner Tante zurück und richtete einen sehr höflichen Brief an sie, in dem er behauptete, seine Existenz sei gesichert und er könne sich von nun an selbst erhalten. Er besaß damals gerade noch drei Franken.
    Und damals verließ Marius das Hotel, um nicht noch tiefer in Schulden zu sinken.

Viertes Buch
Lehrmeister Unglück
Marius in Not
    Das Leben wurde hart für Marius. Seine Kleider und seine Uhr aufessen, ist das Schlimmste nicht, aber bald mußte er auch diese Nahrung gegen das Hungertuch eintauschen. Wie schrecklich sind Tage

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