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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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der Hütte. Sie hatte einen sehr niedrigen Eingang und war jenen Hütten nicht unähnlich, die Straßenarbeiter im Chausseegraben zu bauen pflegen. Er dachte wohl, das wäre ein Unterschlupf für einen Arbeiter. Ihn fror, und er hungerte. Den Hunger wollte er ertragen, und hier würde er wenigstens Schutz gegen die Kälte finden. Solche Hütten sind zumeist des Nachts nicht bewohnt. Er legte sich auf den Boden und kroch hinein. Es war warm darin, auch fand er eine gute Schütte Stroh vor. Einen Augenblick blieb er ausgestreckt liegen, ohne sich zu rühren, so müde war er. Da aber sein Tornister ihn störte, wohl auch ein ganz gutes Kissen abgeben mochte, machte er sich daran, ihn abzunehmen. In diesem Augenblick war ein grimmiges Knurren zu hören. Er blickte auf. Der Kopf einer gewaltigen Dogge erschien im Eingang.
    Es war eine Hundehütte, in die er geraten war.
    Aber er war stark und furchtlos. Mit seinem Stock als Waffe und seinem Tornister als Schild bewehrt, kroch er aus der Hütte so gut er konnte, wobei er allerdings seine Lumpen noch ärger zerriß.
    Auch aus dem Garten entkam er, rückwärts schreitend und die Dogge in Schach haltend mit einem Manöver, das die Stockfechter »die geschlossene Rose« nennen.
    Als er nicht ohne Mühe den Zaun überstiegen und die Straße wieder erreicht hatte, sah er sich von neuem allein, ohne Dach, ohne Lager, sogar aus der Hundehütte mit einer Schütte Stroh verjagt; er ließ sich auf einen Stein fallen, und ein Vorübergehender hörte ihn aufstöhnen:
    »Nicht einmal soviel wie ein Hund!«
    Bald erhob er sich wieder und wanderte weiter, kam an der Präfekturund dem Seminar vorbei. Als er den Domplatz überquerte, ballte er die Faust. Erschöpft und jeder Hoffnung bar, streckte er sich auf einer Steinbank aus.
    In diesem Augenblick kam eine alte Frau vorüber, die eben die Kirche verlassen hatte. Sie bemerkte den Mann im Schatten.
    »Was tut Ihr da, guter Freund?« fragte sie.
    »Das sehen Sie wohl, gute Frau, ich lege mich schlafen«, antwortete er hart und zornig.
    Diese gute Frau verdiente die Bezeichnung wirklich. Es war die Marquise de R.
    »Auf dieser Bank?« fragte sie.
    »Neunzehn Jahre habe ich auf Holzpritschen gelegen«, sagte der Mann, »heute bleibt mir nur Stein übrig.«
    »Sie waren wohl Soldat?«
    »Ja, gute Frau, Soldat.«
    »Warum gehen Sie nicht in die Herberge?«
    »Weil ich kein Geld habe.«
    »Aber Sie können doch nicht im Freien schlafen? Gewiß haben Sie Hunger und frieren. Man wird Sie aus Mitleid aufnehmen.«
    »Ich habe an alle Türen geklopft.«
    »Und?«
    »Überall hat man mich fortgejagt.«
    Sie berührte ihn am Arm und deutete auf ein kleines, niedriges Haus neben dem bischöflichen Palais.
    »Überall haben Sie angeklopft?«
    »Ja.«
    »Waren Sie auch dort?«
    »Nein.«
    »Dann gehen Sie dahin.«
Vorsicht und Weisheit
    An diesem Abend war der Bischof von Digne nach seinem Spaziergange in der Stadt lange in sein Zimmer eingeschlossen geblieben. Er arbeitete fleißig, noch als es acht Uhr schlug, hatte ein großes, aufgeschlagenes Buch auf den Knien liegen und machte auf kleinen Zetteln Notizen, als Frau Magloire eintrat, um wie gewöhnlich das Silbergeschirr aus dem Wandschrank neben dem Bett zu holen. Alsder Bischof einen Augenblick später merkte, daß der Tisch gedeckt war und seine Schwester vielleicht schon wartete, schloß er sein Buch, stand auf und trat in den Speisesaal.
    Es war ein rechteckiger Raum mit einem Kamin, einer Tür, die geradewegs auf die Straße führte, und einem Fenster in den Garten hinaus.
    Frau Magloire hatte in der Tat schon gedeckt. Sie plauderte jetzt mit Fräulein Baptistine. Auf dem Tisch, der an den Kamin gerückt war, stand eine Lampe, und im Kamin brannte ein Feuer. Als der Bischof eintrat, erörterte sie gerade lebhaft ihr Lieblingsthema, das auch Monsignore Bienvenu nicht mehr unbekannt war. Es handelte sich um die Klinke der Straßentür.
    Als sie für das Abendbrot einholen gegangen war, hatte Frau Magloire an verschiedenen Orten schlimme Nachrichten erhalten. Von einem übelaussehenden Strolch war die Rede gewesen, einem verdächtigen Landstreicher, der sich in der Stadt herumtrieb; und wer heute nacht lange ausblieb, konnte sich auf eine unangenehme Begegnung gefaßt machen. Die Polizei, war gesagt worden, sei doch recht leichtfertig, offenbar, weil der Herr Präfekt und der Herr Bürgermeister nicht gerade gut aufeinander zu sprechen waren und jeder dem andern zu schaden hoffte, wenn irgend

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