Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
Straßenjungen, der sich zurückzog, aber nicht floh, aus seiner Lücke.
    Es war ein kritischer Augenblick.
    In der nächsten Sekunde konnte die Barrikade verloren sein.
    Bahorel stürzte sich auf den ersten Munizipalgardisten und schoß ihn nieder. Ein zweiter stach Bahorel mit dem Bajonett in die Brust. Ein anderer hatte Courfeyrac, der um Hilfe schrie, zu Boden geworfen. Ein Ungeheuer von Gardist trieb Gavroche mit dem Bajonett vor sich her. Der Junge hob mit seinen schwachen Armen Javerts gewaltiges Gewehr, zielte kühn auf den Riesen und drückte ab. Aber – Javert hatte nicht geladen. Der Gardist lachte laut und holte zum Stoß aus.
    Bevor das Bajonett Gavroche berührte, fiel dem Soldaten das Gewehr aus der Hand. Ein Schuß hatte ihn in die Stirne getroffen, er fiel auf den Rücken. Eine zweite Kugel streckte den andern Gardisten nieder, der Courfeyrac zu Fall gebracht hatte. Es war Marius, der auf der Barrikade erschien.
    Jetzt war Marius unbewaffnet: nachdem er die beiden Pistolen verschossen hatte, warf er sie von sich. Aber im selben Augenblick bemerkte er in der Tür der Gaststube ein Pulverfaß.
    Er wandte sich eben halb um, als ein Soldat auf ihn anlegte. Im selben Augenblick griff eine Hand nach der Mündung des Gewehrlaufs. Der junge Arbeiter in Samthosen war wieder aufgetaucht. Die Kugel ging los, durchbohrte die Hand, erreichte aber Marius nicht. Inmitten des Pulverdampfs konnte man alles nur flüchtig übersehen. Schon war Marius in die Tür getreten. Die verblüfften Insurgenten sammelten sich. Enjolras schrie:
    »Halt, nicht blind schießen!«
    In der Tat wäre es bei der allgemeinen Verwirrung möglich gewesen, daß die Leute aufeinander schossen. Die meisten hatten sich bereits an die Fenster des ersten Stockwerks zurückgezogen und bedrohten von dort die Angreifer.
    Alles geschah ohne Überstürzung, mit seltsamer Ruhe. Jetzt waren beide Parteien schußbereit. Man stand einander auf Rufweite gegenüber. In dem Augenblick, als geschossen werden sollte, erhob ein Offizier mit großen Epauletten den Degen und rief:
    »Ergebt euch!«
    »Feuer!« rief Enjolras.
    Beide Parteien schossen gleichzeitig. Alles tauchte in dem Pulverdampf unter. Stöhnen und Schreien von Verwundeten und Sterbenden wurde laut.
    Als der Rauch sich verzog, sah man auf beiden Seiten die Kämpfer dabei, ihre Waffen neu zu laden.
    Im selben Augenblick schrie eine Stimme:
    »Zurück, oder die Barrikade fliegt in die Luft!«
    Marius hatte das Pulverfaß hervorgeholt und im Schutz des Rauches bis zu der Stelle geschleppt, wo die Fackeln brannten. Dann hatte er die Fackel ergriffen, das Faß eingeschlagen und drohte jetzt alles in die Luft zu sprengen.
    »Zurück, oder die Barrikade fliegt in die Luft!«
    Nach dem Greis war Marius die zweite Heldengestalt der jungen Revolution.
    »Du fliegst selber auch in die Luft!« schrie ein Sergeant.
    »Ich auch«, antwortete Marius.
    Und er näherte die Fackel dem Faß.
    Schon war niemand mehr auf der Barrikade. In wilder Flucht zogen sich die Angreifer zurück, ohne ihre Toten und Verwundeten mitzunehmen. Schon waren sie im Dunkel der Nacht verschwunden. Es hieß: »Rette sich, wer kann!«
    Die Barrikade war vom Feinde gesäubert.
Tod des Dichters Jean Prouvaire
    Alle umringten Marius. Courfeyrac fiel ihm um den Hals. »Da bist du ja!«
    »Das ist wirklich ein Glück, daß du gekommen bist!« rief Courfeyrac.
    »Und im rechten Augenblick!« rief Bossuet.
    »Ohne dich wäre ich schon tot«, erklärte Courfeyrac.
    »Und ich hätte auch einen kalten Hintern«, erklärte Gavroche.
    »Wo ist euer Führer?« fragte Marius.
    »Du bist es«, erwiderte Enjolras.
    Die Angreifer verhielten sich jetzt ruhig. Vielleicht warteten sie auf neue Befehle oder Verstärkung. Die Revolutionäre stellten wieder Schildwachen aus, und einige, Studenten der Medizin, machten sich daran, die Verwundeten zu verbinden.
    Plötzlich aber verdüsterte eine bestürzende Entdeckung die allgemeine Freude über die befreite Barrikade.
    Es wurde zum Appell gerufen. Einer der Revolutionäre fehlte. Es war einer der wertvollsten, einer der kühnsten: Jean Prouvaire. Man suchte ihn unter den Verwundeten, unter den Toten, aber er war nicht da. Offenbar war er gefangen worden.
    Combeferre sagte zu Enjolras:
    »Sie haben unseren Freund, wir haben ihren Agenten. Liegt dir was daran, daß der Spitzel umgebracht wird?«
    »Ja, aber Jean Prouvaires Leben ist mir lieber.«
    »Gut, dann binde ich mein Taschentuch an mein Gewehr, gehe als

Weitere Kostenlose Bücher