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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Parlamentär hinüber und schlage ihnen einen Tausch vor.«
    »Horch!« rief Enjolras und legte seine Hand auf Combeferres Arm.
    Von drüben klang ein Waffenklirren herüber. Dann hörte man eine Männerstimme rufen:
    »Es lebe Frankreich! Es lebe die Zukunft!«
    Ein Aufblitzen, ein Krach, Schweigen.
    »Sie haben ihn erschossen!« rief Combeferre.
    Enjolras wandte sich zu Javert:
    »Deine Freunde haben dein Urteil gesprochen.«
Der Todeskampf
    Eine Besonderheit dieser Art von Krieg besteht darin, daß die Barrikaden fast immer von vorne angegriffen werden. Die Angreifer vermeiden es zumeist, die gegnerischen Stellungen zu umgehen, da sie einen Hinterhalt fürchten. Nur ungern dringen sie in winkelige Seitengassen ein. Darum war auch alle Aufmerksamkeit der Revolutionäre auf die Hauptbarrikade gerichtet, die ja am meisten bedroht war und auf der der Endkampf stattfinden mußte. Nur Marius dachte an die kleine Barrikade und ging dahin. Sie lag vollkommen verlassen da und war nur von einem Lampion bewacht, der sein zitterndes Licht auf das Pflaster warf. Die Rue Mondétour lag in tiefer Stille da.
    Nachdem Marius sich davon überzeugt hatte, wollte er auf die Barrikade zurückkehren. Plötzlich hörte er in der Dunkelheit leise seinen Namen rufen.
    »Herr Marius!«
    Es war dieselbe Stimme, die er vor kaum zwei Stunden in der Rue Plumet gehört hatte. Doch klang sie jetzt nur mehr wie ein Hauch. Er blickte um sich, sah aber nichts. Schon glaubte er sich getäuscht zu haben, als dieselbe Stimme wieder rief. Diesmal konnte er nicht irren.
    »Zu Ihren Füßen!« flüsterte die Stimme.
    Er blickte zu Boden und sah eine Gestalt, die sich mühsam auf der Erde näher bewegte. Der schwache Schein des Lampions ließ ihn eine Arbeiterbluse, zerrissene Samthosen, bloße Füße und eine Blutlache erkennen. Jetzt tauchte ein blasses Gesicht auf.
    »Erkennen Sie mich nicht?«
    »Nein.«
    »Eponine.«
    Marius beugte sich lebhaft vor. Es war in der Tat das unglückliche Mädchen. Sie hatte sich als Mann verkleidet.
    »Wie kommen Sie hierher? Was tun Sie hier?«
    »Ich sterbe.«
    Es gibt Worte und Ereignisse, die uns selbst in tiefster Niedergeschlagenheit wachrufen. Marius fuhr auf.
    »Sie sind verwundet! Warten Sie, ich trage Sie in das Gastzimmer! Man wird Sie verbinden. Ist es eine schwere Verwundung? Wie muß ich Sie anfassen, um Ihnen nicht weh zu tun? Mein Gott, warum sind Sie hierhergekommen?«
    Er wollte sie in seine Arme nehmen, um sie aufzuheben.
    Sie schrie leise auf.
    »Habe ich Ihnen weh getan?« fragte er.
    »Etwas.«
    Jetzt sah er ihre Hand und gewahrte in der Mitte ein schwarzes, blutiges Loch.
    »Was haben Sie da?«
    »Durchschossen.«
    »Aber wieso?«
    »Haben Sie gesehen, wie ein Soldat auf Sie anlegte?«
    »Ja, ich sah auch die Hand vor der Mündung.«
    »Es war meine.«
    Marius fuhr zusammen.
    »Armes närrisches Kind! Aber diese Wunde ist nicht gefährlich, wir können von Glück sagen! Ich werde Sie auf das Bett tragen. Man wird Sie verbinden. An einer durchschossenen Hand stirbt man nicht.«
    »Die Kugel ist durch die Hand gegangen, hat den Körper durchbohrt und ist im Rücken wieder herausgekommen, es hat keinen Sinn, daß Sie mich forttragen. Aber ich will Ihnen sagen, wie Sie mich besser verbinden können als der Wundarzt. Setzen Sie sich hier auf diesen Stein.«
    Er gehorchte. Sie legte ihren Kopf auf seine Knie und sagte:
    »Jetzt ist mir gut, ich habe keine Schmerzen mehr.«
    Einen Augenblick lang schwieg sie, dann sah sie Marius an.
    »Wissen Sie auch, Herr Marius, es tat mir weh, daß Sie in diesen Garten gingen. Es war dumm. Ich selbst hatte Ihnen doch dieses Haus gezeigt, und schließlich mußte ich mir doch sagen, daß ein junger Mann wie Sie …«
    Sie zögerte, dann fuhr sie mit herzzerreißendem Lächeln fort:
    »Sie fanden mich häßlich, nicht wahr? Ach, auch Sie sind verloren. Hier kommt niemand mit dem Leben davon. Und ich habe Sie hierhergeführt! Auch Sie sterben hier, das weiß ich wohl. Und doch habe ich, als einer auf Sie anlegte, meine Hand vor die Mündung des Gewehrs gehalten. Dann bin ich hierhergekrochen. Ich erwartete Sie. Immer dachte ich: kommt er denn nicht? Wenn Sie wüßten, wie weh es tat! Ich biß in meine Bluse vor Schmerz. Jetzt aber ist mir wohl. Erinnern Sie sich noch an den Tag, als ich in Ihr Zimmer kam und mich in Ihrem Spiegel besah? Und dann an den Tag, an dem ich Sie auf dem Boulevard traf, wie die Vögel damals sangen! Sie gaben mir fünf Franken, aber ich wollte

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