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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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machen.
    Sie durchquerten den dreieckigen Platz hinter der Barrikade. Die Insurgenten waren ganz mit dem drohenden Angriff beschäftigt und blickten nicht zurück.
    Nur Marius sah die beiden vorübergehen.
    Jean Valjean lotste den gefesselten Javert nicht ohne Mühe in die Rue Mondétour. Nachdem die beiden die kleine Verschanzung überstiegen hatten, fanden sie sich allein. Jetzt konnte niemand sie sehen. Einige Schritte abseits lagen die hierhergebrachten Toten zuhauf. Ein bleiches Gesicht, ein Kopf mit aufgelöstem Haar und eine durchschossene Hand wurden sichtbar: eine halbnackte, tote Frau. Eponine.
    Javert sah sie von der Seite an und sagte ruhig:
    »Die kenne ich, soviel mir scheint.«
    Dann wandte er sich zu Jean Valjean.
    Dieser steckte seine Pistole unter den Arm und sah Javert scharf an.
    »Javert, ich bin’s.«
    »Gut, nimm deine Rache.«
    Valjean zog sein Messer aus der Tasche und klappte es auf.
    »Du hast recht, das steht dir besser an«, meinte Javert.
    Jetzt schnitt Valjean die Fesseln durch, die Javerts Hände und Füße umschlossen, richtete sich wieder auf und sagte:
    »Sie sind frei.«
    Gewiß war Javert ein Mann, der sich nicht leicht wunderte. Abersosehr er auch seiner Herr war, er konnte eine Bewegung nicht unterdrücken.
    »Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß ich von hier lebend wegkomme«, fuhr Jean Valjean fort. »Sollte es aber doch geschehen, so mögen Sie wissen, daß ich unter dem Namen Fauchelevent in der Rue de l’Homme Armé Nr. 7 wohne.«
    Javert verzog, wütend wie ein Tiger, sein Gesicht und brummte zwischen den Zähnen:
    »Hüte dich!«
    »Gehen Sie«, befahl Jean Valjean.
    »Fauchelevent, sagst du? Rue de l’Homme Armé?«
    »Nr. 7.«
    »Nr. 7«, wiederholte Javert leise.
    Dann knöpfte er den Rock zu, zog die Schultern hoch und entfernte sich in Richtung der Hallen. Jean Valjean sah ihm nach. Nach einigen Schritten wandte sich Javert um und rief:
    »Ich mag das nicht. Bringen Sie mich lieber um.«
    Er merkte selbst nicht, daß er Jean Valjean nicht mehr duzte.
    »Gehen Sie!« rief Jean Valjean.
    Langsam entfernte sich Javert. Etwas später war er um die Ecke der Rue des Prêcheurs gebogen. Als er verschwunden war, schoß Valjean seine Pistole in die Luft ab, kehrte zu der Barrikade zurück und sagte:
    »Erledigt.«
Die Helden
    Der Todeskampf der Leute auf der Barrikade sollte beginnen.
    Alles wirkte zusammen, um die tragische Erhabenheit dieses Augenblicks zu steigern. Der Schritt der herannahenden Soldatenscharen in den Straßen, die man noch nicht sah, das Traben der Kavallerie, das dumpfe Getöse der anfahrenden Artillerie, Pulverdampf, der sich über die im Sonnenglanz schimmernden Dächer erhob. Aus weiter Ferne Geschrei, die Sturmglocke von Saint-Merry, die jetzt zu stöhnen und zu röcheln schien – und dazu die Pracht und Lieblichkeit der Jahreszeit, das strahlende Sonnenlicht und zugleich die unheimliche Stille des Quartiers ringsum.
    Plötzlich schlugen die Trommeln zum Angriff.
    Er war wie ein Orkan. Gestern abend waren die Feinde im Dunkel,wie eine Schlange, an die Barrikade herangeschlichen. Heute, im hellen Tageslicht, war eine Überraschung unmöglich, also kamen sie im wilden Ansturm. Eine mächtige Kolonne Linieninfanterie, der Nationalgardisten und Munizipalgardisten zu Fuß folgten, gestützt auf eine nachflutende Menge, die man noch nicht sehen konnte, brach im Sturmschritt in die Straße ein, während die Trommeln wirbelten und die Trompeten schallten. An der Spitze liefen Sappeure.
    Aber die Barrikade hielt den Sturm aus.
    Die Verteidiger feuerten lebhaft. Eine Feuergarbe schoß von der Böschung herab. Doch war der Andrang so stark, daß die Barrikade im nächsten Augenblick überrannt war. Indessen schüttelte sie die Soldaten ab wie ein Löwe die Hunde, sie wurde nur überflutet wie ein Felsen, über den der Gischt der Wogen hinwegspült und der im nächsten Augenblick wieder schwarz und schrecklich dasteht.
    Die Soldaten mußten sich zurückziehen. Aber die Straße war verstopft. So blieben sie ungedeckt und beantworteten die Schüsse der Verteidiger mit wütendem Gewehrfeuer.
    Auf beiden Seiten herrschte dieselbe Entschlossenheit. Die Tapferkeit nahm einen fast barbarischen Charakter an und verband sich mit jener heroischen Wildheit, die vor dem Opfer des eigenen Lebens nicht zurückscheut. Die Nationalgardisten schlugen sich damals wie Zuaven. Die Soldaten wollten mit der Sache zu Ende kommen, die Revolutionäre waren kampfbegieriger

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