Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
Das bedeutet Regen, Kinder!«
    Tholomyès marschierte immer als letzter. Er war bester Laune, aber man merkte, daß er regierte. Sein Hauptschmuck waren Hosen mit »Elefantenbeinen«, Nankinghosen mit Kupferstegen. In der Hand schwang er einen mächtigen Spazierstock, der seine zweihundert Franken gekostet haben mochte, und da er sich alles erlaubte, hielt er sogar so ein neumodisches Ding, eine Zigarre, im Munde. Ihm war nichts heilig, er rauchte!
    Tholomyès ist grandios, sagten die andern voll Bewunderung. Diese Hosen! Diese Energie!
    Was Fantine angeht, so war sie die reinste Freude. Gott hatte ihr offenbar diese prächtigen Zähne gegeben, damit sie lachen sollte. Ihr Strohhütchen mit den langen, weißen Bändern trug sie lieber in der Hand als auf dem Kopf. Ihr dichtes, blondes Haar, das sich leicht auflöste und immer wieder hochgesteckt werden mußte, hätte einer »Galatea auf der Flucht« dienen können. Ihre rosigen Lippen zuckten vor Lebendigkeit. Die sinnlich geschwungenen Lippen, die einer alten Erigonemaske nachgeahmt schienen, mochtenzu Kühnheiten herausfordern, aber die langen, bescheiden gesenkten Wimpern wirkten mildernd. Ihre ganze Toilette hatte irgend etwas Fröhliches, zu Gesang und Heiterkeit Anregendes; sie trug ein malvenfarbenes Barègekleid, kleine Goldkäferschuhe, deren Bänder ein X auf die weißen ajourierten Strümpfe zeichneten, und einen Musselinspenzer nach Marseiller Art, der dort Canezou (zusammengezogen aus quinze und août, fünfzehnter August) genannt wird, und dieser Name bedeutet, auf der Cannebière gesprochen, schönes Wetter, Sonne, Süden. Die andern drei Freundinnen, minder schüchtern, wie wir schon bemerkten, waren tiefer ausgeschnitten, und gerade im Sommer wirkt der tiefe Ausschnitt unter den großen, blumenbedeckten Hüten anmutig und aufmunternd; aber der Canezou der blonden Fantine, dieses durchsichtige Kleidungsstück, das soviel verbirgt und doch wieder verrät, verheimlicht und zugleich preisgibt, war eine köstliche Erfindung der Schüchternheit, und der berühmte Liebeshof der Vicomtesse de Cette mit den grünen Meeraugen hätte gewiß diesem Kleidungsstück, das doch auf Schamhaftigkeit Anspruch erhob, den großen Preis der Koketterie zugeteilt. Die Naivität ist manchmal die größte Geschicklichkeit, das kommt vor.
    Fantines Gesicht war strahlend und rein, ihr Profil fein, die Augen zeigten ein tiefes Blau; kleine, gutgeformte Füße, prachtvoll angesetzte Gelenke, weiße Haut, die das Blau der Adern durchschimmern ließ, kindlich frische Wangen, der Hals kräftig, wie jener der äginetischen Juno, ein starker, geschmeidiger Nacken, Schultern, die ein Coustou modelliert haben könnte, und in ihrer Mitte ein feines, durch den Musselin erkennbares Grübchen; Heiterkeit durch Träumerei gedämpft – das war Fantines Wesen, man ahnte unter diesen Bändern und Stoffen eine Statue, in dieser Statue eine Seele.
    Fantine war schön, ohne es recht zu wissen. Jene seltenen Träumer, die nur die Vollkommenheit anerkennen wollen, hätten in dieser kleinen Arbeiterin durch den Schleier der Pariser Anmut die heilige antike Harmonie erschaut. Diese Tochter des niedrigsten Volkes hatte Rasse. Sie war schön auf doppelte Art, schön als Stil und als Rhythmus.
    – – – – – – – -- --
    Nachdem man sich auf der Rutschbahn vergnügt hatte, mußte man ans Essen denken; man war müde und hielt schließlich seinenEinzug bei Bombarda, in jenem Restaurant, das der berühmte Bombarda auf den Champs-Elysées als Filiale seines Hauptgeschäfts in der Rue Rivoli an der Passage Delorme eingerichtet hatte.
    Tischgespräche und Liebesgespräche sind gemeinhin ungegenständlich; die Reden Verliebter möchte man mit den Wolken, die der Esser mit Rauch vergleichen.
    Fameuil und Dahlia trällerten; Tholomyès trank, Zéphine lachte, Fantine lächelte. Listolier blies auf seiner Holztrompete, die er in Saint-Cloud erstanden hatte. Favourite beunruhigte Blachevelle mit zärtlichen Bitten und sagte:
    »Blachevelle, ich bete dich an!«
    Das ermunterte Blachevelle zu der Gegenfrage:
    »Was tätest du, Favourite, wenn ich dich nicht mehr liebte?«
    »Das sollst du nicht einmal zum Spaß sagen!« rief Favourite. »Wenn du mich nicht mehr liebtest, liefe ich dir nach, würde dir die Augen auskratzen, dich mit Wasser begießen, und zuletzt ließe ich dich verhaften.«
    An Blachevelles Lächeln war zu erkennen, daß diese Antwort seiner Eigenliebe wohltat.
    »Ja«, sagte Favourite, »ich

Weitere Kostenlose Bücher