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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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nachdem ich den wirklichen Jean Valjean gesehen habe, begreife ich gar nicht, wie ich das andere auch nur glauben konnte. Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Bürgermeister.«
    So flehend und ernst er auch die Bitte an jenen Mann richtete, der ihn vor sechs Wochen vor seinen Untergebenen gedemütigt hatte, war doch seine Haltung stolz und, wenn auch unbewußt, voll Einfachheit und Würde. Madeleine antwortete nur mit der jähen Frage:
    »Und was sagt der Mann?«
    »Ja, Herr Bürgermeister, das ist eine schlimme Sache. Da er Jean Valjean ist, wird er als rückfälliger Verbrecher behandelt. Wenn ein Junge eine Mauer übersteigt, einen Ast abbricht und Äpfel klaut, so ist es ein dummer Streich; tut es ein Mann, so ist es ein Vergehen; für einen ehemaligen Sträfling ist es ein Verbrechen. Einbruch und Diebstahl heißt das dann. Das geht nicht mehr die Polizei an, sondern die Assisen. Jetzt geht es nicht mehr um ein paar Tage Haft, sondern um lebenslänglichen Dienst auf den Galeeren. Hol’s der Teufel, der Kerl weiß, wozu er leugnet! Schwere Sache für einen andern als diesen Jean Valjean. Aber der ist pfiffig. Auch daran erkenne ich ihn wieder. Ein anderer würde es mit der Angst kriegen, würde jammern und schreien, alles ableugnen, um keinen Preis Jean Valjean sein wollen. Er aber tut, als ob er gar nichts begriffe. Er sagt: ich bin Champmathieu, mehr weiß ich nicht. Er tut verwundert und spielt den Blöden. Ein geschickter Kerl. Aber es wird ihm nichts nützen, man hat ja die Beweise in Händen. Er ist von vier Personen wiedererkannt, der alte Gauner, und wird unweigerlich verurteilt. Die Sache wird bei den Assisen in Arras verhandelt. Ich selbst bin als Zeuge geladen.«
    Madeleine hatte sich wieder abgewandt, seine Aktenmappe aufgeschlagen und las wie ein vielbeschäftigter Mann. Endlich sah er sich nach Javert um.
    »Genug, Javert. Im Grunde genommen sind diese Einzelheiten für mich uninteressant. Wir verlieren unsere Zeit, und wir haben Dringenderes zu tun. Gehen Sie zunächst zu Frau Buseaupied, der Gemüsehändlerin an der Ecke der Rue Saint-Saulve. Sagen Sie ihr,sie möchte ihre Klage gegen den Fuhrmann Pierre Chesnelong einreichen. Dieser Lümmel hat neulich die Frau und ihr Kind verletzt. Er soll bestraft werden. Dann gehen Sie zu Herrn Charcellay in der Rue Montre de Champigny. Er beklagt sich, daß eine Regentraufe des Nachbarhauses Wasser auf sein Grundstück ableitet und seine Bauten unterwäscht. Aber haben Sie denn auch Zeit, alles das zu erledigen? Wann fahren Sie nach Arras?«
    »Die Verhandlung ist morgen, ich reise heute abend mit der Post.«
    Madeleine machte eine fast unmerkliche Bewegung.
    »Wie lange kann diese Verhandlung dauern?«
    »Höchstens einen Tag. Das Urteil wird spätestens am selben Abend gefällt. Ich warte aber nicht darauf, der Ausgang ist ja unzweifelhaft. Sobald ich meine Aussage gemacht habe, fahre ich zurück.«
    »Gut«, sagte Madeleine und verabschiedete Javert mit einer Handbewegung. Aber der ging nicht.
    »Verzeihung, Herr Bürgermeister …«
    »Was gibt’s denn noch?«
    »Ich muß doch aus dem Dienst gejagt werden.«
    Madeleine stand auf.
    »Sie sind ein Ehrenmann, Javert, und ich achte Sie. Sie übertreiben Ihr Vergehen. Auch dies ist eine Beleidigung, die nur mich angeht. Ich wünsche, daß Sie auf Ihrem Platze verbleiben.«
    »Herr Bürgermeister, das geht nicht.«
    »Aber ich sage Ihnen doch, daß das meine Sache ist.«
    Javert, ganz seinen eigenen Gedanken nachhängend, erwiderte:
    »Nein, ich übertreibe nicht. Für mich stellt sich die Sache folgendermaßen dar. Ich hatte Sie in falschem Verdacht. Das macht nichts aus. Schließlich ist es ja unsere Pflicht, jedem Verdacht nachzugehen. Aber ohne Beweise in Händen, in einem Anfall von Zorn, aus reiner Rachsucht Sie, einen Ehrenmann, einen Bürgermeister, einen Beamten als Galeerensträfling zu denunzieren, das ist sehr schlimm. Ich habe in Ihnen die Obrigkeit beleidigt, ich, der ich ein Diener der Obrigkeit bin. Wenn einer meiner Untergebenen so etwas täte, würde ich ihn für dienstunfähig erklären und fortjagen. Also …! Und noch eines, Herr Bürgermeister, ich war oft streng in meinem Leben, streng gegen die andern. Das war nur gerecht. Wenn ich aber nicht auch gegen mich streng wäre, wäre alle meinefrühere Gerechtigkeit nur Lumperei. Darf ich mich denn mehr schonen als die andern? Wäre ich dazu befähigt gewesen, irgend jemanden zu bestrafen, wenn ich mich selbst schonte? Ich wäre ja ein Schuft,

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