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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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gesehen worden. Er folgte diesem Hinweis und ging, vor sich hin sprechend, mit langen Schritten weiter.
    Dieser Mensch ist unzweifelhaft eine Million in einem gelben Rock, murmelte er, und ich bin ein albernes Vieh. Erst hat er zwanzig Sous gegeben, dann fünf Franken, dann fünfzig, schließlich fünfzehnhundert, immer mit der gleichen Bereitwilligkeit. Er hätte auch fünfzehntausend gegeben. Ich werde ihn schon noch einholen.
    Auch war es sonderbar, daß er für die Kleine bereits Kleider mitgebracht hatte. Sicher steckte da ein Geheimnis dahinter. Und solch ein Geheimnis läßt man sich nicht wieder entkommen, wenn man es einmal am Wickel hat. Die Geheimnisse der Reichen sind Schwämme von Gold, man braucht sie nur auszupressen.
    Diese Erwägungen beschäftigten ihn, und er kam neuerlich zu seiner Schlußfolgerung: ich bin ein albernes Vieh.
    Wenn man Montfermeil auf der Straße gegen Livry zu verläßt, hat man einen weiten Ausblick auf die Hochebene. Er hatte erwartet, daß er den Mann und die Kleine sehen würde, aber so gespannt er auch Ausschau hielt, er konnte nichts bemerken. Wieder suchte er Erkundigungen einzuholen, aber damit verlor er nur Zeit. Man sagte ihm, der Mann und das Kind hätten die Richtung nach den Wäldern um Gagny eingeschlagen. Also folgte er ihnen dahin.
    Sie hatten einen Vorsprung, aber ein Kind geht langsam, und er lief schnell. Auch war ihm die Gegend vertraut.
    Plötzlich blieb er stehen, schlug sich vor die Stirn, wie jemand, der die Hauptsache vergessen hat und halbenwegs wieder umkehren möchte.
    »Ich hätte mein Gewehr mitnehmen müssen!« rief er.
    Dann aber nach einem kurzen Zögern:
    »Ach, inzwischen entwischen sie mir.«
    Er machte sich wieder auf den Weg und lief, fast sicher, die beiden einzuholen, hastig weiter; wie ein Fuchs lief er, der eine Kette Birkhühner wittert.
    Und wirklich, als er an den Teichen vorübergekommen war und die große Lichtung zur Rechten der Straße von Bellevue überquerte, bemerkte er hinter einem Strauch einen Hut, der ihn mit großen Erwartungen erfüllte. In der Tat, Cosette und der Unbekanntehatten sich hier niedergesetzt. Die Kleine war nicht zu sehen, aber der Kopf der Puppe ragte über dem Strauch hervor.
    Thénardier täuschte sich nicht. Offenbar hatte der Mann hier Platz genommen, um Cosette ein wenig Rast zu gönnen. Im nächsten Augenblick stand der Wirt vor ihnen.
    »Entschuldigen Sie, mein Herr«, rief er atemlos, »hier haben Sie Ihre fünfzehnhundert Franken wieder!«
    Und er reichte dem Fremden die drei Banknoten.
    »Was bedeutet das?« fragte der Alte.
    »Das bedeutet, daß ich Cosette wiederhaben will«, antwortete Thénardier respektvoll. Cosette erzitterte und schmiegte sich an ihren Beschützer. Dieser sah Thénardier tief in die Augen und fragte gedehnt:
    »Sie wollen Cosette wiederhaben?«
    »Ja, mein Herr, ich will sie wiederhaben. Und ich will Ihnen auch sagen, wieso ich dazu komme. Ich habe nicht das Recht, sie Ihnen abzutreten. Ich bin ein Ehrenmann, verstehen Sie? Die Kleine gehört nicht mir, sie gehört ihrer Mutter. Ihre Mutter hat sie mir anvertraut, ich kann sie nur ihr wiedergeben. Sie werden sagen: die Mutter ist tot. Möglich. Aber auch in diesem Falle kann ich das Kind nur jemand geben, der mir einen schriftlichen Auftrag der Mutter vorzeigt, daß ich das Kind ihm aushändigen soll. Das ist klar.«
    Wortlos zog der Fremde das Portefeuille heraus. Der Wirt war von freudigem Schreck durchschauert.
    Soso, dachte er, da hätten wir ihn. Er will mich bestechen.
    Bevor der Fremde sein Portefeuille öffnete, blickte er um sich. Kein Mensch war zu sehen. Erst nachdem er sich davon überzeugt hatte, klappte er das Portefeuille auf, zog aber nicht das erwartete Banknotenbündel heraus, sondern ein kleines Blatt Papier, das er entfaltete und dem Wirt hinhielt.
    »Sie haben recht. Lesen Sie.«
    Thénardier nahm das Blatt und las:
    Montreuil sur Mer, 25. März 1823.
    Herr Thénardier,
    übergeben Sie Cosette dem Überbringer.
    Die kleinen Restschulden werden Ihnen bezahlt werden.
    Hochachtungsvoll
    Fantine.
    »Kennen Sie diese Unterschrift?« fragte der Fremde.
    Es war Fantines Hand. Thénardier erkannte sie. Er konnte keinen Einwand erheben. Ein doppelter Ärger regte sich in ihm, der Ärger, die erhoffte Bestechungssumme zu verlieren, und der, geschlagen zu sein.
    »Sie können das Blatt zu Ihrer Rechtfertigung behalten.«
    Thénardier trat einen wohlgeordneten Rückzug an.
    »Die Unterschrift ist ja ganz gut

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