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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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während Renard, minder glücklich, nur die Erlaubnis erhielt, ein P vor seinen Namen zu setzen, so daß er, peinlich genug, den Namen Prenard tragen mußte.
    Nach der lokalen Tradition war Meister Gorbeau der Erbauer und Eigentümer jenes geräumigen, öden Hauses auf dem Boulevard de l’Hôpital, vor dem Jean Valjean jetzt stehenblieb. Wie ein scheuer Vogel hatte er diesen entlegenen Platz gewählt, um hier sein Nest zu bauen.
    Er griff in seine Westentasche, zog einen Schlüssel hervor, schloß die Türe auf und stieg, nachdem er sorgfältig wieder abgesperrt hatte, die Treppe hinauf. Cosette trug er noch immer auf dem Arm.
    Auf dem Treppenabsatz angelangt, zog er einen anderen Schlüssel hervor und öffnete eine Türe. Das Zimmer, das er betrat, glich eher einer Werkstätte und war ziemlich geräumig; eine Matratze lag auf dem Boden. Das übrige Mobiliar bestand aus einem Tisch und einigen Stühlen. Ein eiserner Ofen glühte im Winkel. Der Widerschein einer Straßenlaterne beleuchtete spärlich die dürftige Einrichtung. Im Hintergrund, in einer Art Verschlag, stand ein Gurtbett.Jean Valjean trug das Kind dahin und legte es nieder, ohne daß es aufwachte.
    Er machte Feuer und zündete eine Kerze an, die auf dem Tisch bereitstand. Dann begann er, Cosette mit einem Blick voll Entzücken und innigster Zärtlichkeit zu betrachten. Die Kleine schlief in jener ungetrübten Vertrauensseligkeit, die nur der höchsten Kraft und der äußersten Schwäche möglich ist, ohne zu wissen, wo sie sich befand.
    Er beugte sich über sie und küßte ihre Hand.
    Es war schon heller Tag, als das Kind erwachte. Das fahle Licht einer Dezembermorgensonne fiel durch das Fensterkreuz und zog lange Streifen über den Plafond. Plötzlich polterte eine schwerbeladene Fuhre an dem Hause vorbei und erschütterte wie ein Sturm die Grundfesten des Gebäudes.
    »Ja, Frau!« rief Cosette und fuhr hoch, »ich bin schon da!«
    Und schon war sie aus dem Bett gesprungen, tastete, während ihre schlafschweren Augen noch halb geschlossen waren, an der Wand.
    »Mein Gott, mein Besen!« jammerte sie.
    Jetzt öffnete sie die Augen ganz und blickte in das lächelnde Gesicht Jean Valjeans.
    »Ach, richtig!« sagte sie. »Guten Tag, mein Herr.«
    Kinder machen sich rasch mit Freude und Glück vertraut, denn Freude und Glück ist ihre zweite Natur.
    Cosette bemerkte Katherine zu Füßen ihres Bettes, nahm sie auf und begann Jean Valjean auszufragen. Wo sie sei und ob Paris wirklich so groß sei, und ob Madame Thénardier bestimmt nicht hierher käme. Und plötzlich rief sie aus:
    »Wie hübsch es hier ist!«
    In Wirklichkeit war es ein recht ungemütlicher Aufenthalt – aber sie fühlte sich frei.
    »Soll ich nicht auskehren?« fragte sie.
    »Du sollst spielen«, sagte Jean Valjean.
Beobachtungen der Wirtin
    Jean Valjean gebrauchte die Vorsicht, niemals bei Tage auszugehen. Erst in der Dämmerung wagte er einen Spaziergang von ein oder zwei Stunden, zuweilen allein, oft mit Cosette; er bevorzugte danndie entlegensten Seitenalleen der Boulevards und trat erst nach Einbruch der Nacht in eine Kirche ein. Am liebsten besuchte er die des heiligen Medardus, die am nächsten lag. Wenn er Cosette nicht mitnahm, blieb sie bei der Alten, der Verwalterin des Hauses, von der Valjean das Quartier gemietet hatte. Doch zog es Cosette vor, mit Valjean spazierenzugehen. Sogar einem vertraulichen Stündchen mit Katherine entsagte sie gern zugunsten eines Ausflugs.
    Es erwies sich, daß Cosette von heiterer Natur war.
    Die Alte führte die Wirtschaft, kochte und besorgte die Einkäufe.
    Man lebte einfach, doch wurde der Kamin nie kalt, wie es wohl bei den Allerärmsten geschehen mag. An dem Mobiliar änderte Jean Valjean nichts, doch ließ er die Glastüre, die zu Cosettes Verschlag führte, durch eine Holztüre verschließen.
    Er trug noch immer seinen gelben Rock, seine schwarze Kniehose und seinen alten Rock. Auf der Straße hielt man ihn für einen Bettler. Zuweilen geschah es, daß mildtätige Frauen ihm einen Sou in die Hand drückten. Jean Valjean nahm die Münze an und verneigte sich tief. Oder es ereignete sich, daß er selbst einem Bettler begegnete; dann hielt er zuerst fürsorglich Umschau, ob niemand ihn sehe, trat dann zu dem Armen und drückte ihm rasch eine Münze, oft sogar ein Silberstück in die Hand. Daraus entstanden unangenehme Folgerungen. Man begann ihn in der Gegend den Bettler, der Almosen gibt, zu nennen.
    Die alte Vermieterin, eine mißgünstige und

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