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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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nachgeahmt«, murmelte er. »Gut, sei’s darum!«
    Aber er wagte noch einen letzten verzweifelten Versuch.
    »Mag es hingehen«, sagte er. »Sie sind ja wohl der Mann. Aber Sie müssen mir alle meine kleinen Auslagen ersetzen, man schuldet mir einen beträchtlichen Betrag.«
    Der Fremde erhob sich und sagte, während er mit der Fingerspitze etwas Staub von seinem Ärmel fortschnellte:
    »Herr Thénardier, im Januar schuldete Ihnen die Mutter hundertzwanzig Franken. Im Februar sandten Sie eine Rechnung über fünfhundert Franken. Sie erhielten im Februar dreihundert, Anfang März wieder dreihundert. Seither sind neun Monate verflossen, das macht, da fünfzehn Franken monatlich verabredet worden waren, hundertfünfunddreißig Franken. Da Sie damals hundert Franken zuviel erhalten haben, können Sie jetzt fünfunddreißig beanspruchen. Ich habe Ihnen fünfzehnhundert gegeben.«
    Thénardier hatte das Gefühl eines Wolfes, der in die Falle gegangen ist. Wer ist dieser Teufelskerl? dachte er.
    Und er tat, was jeder Wolf getan hätte, er zerrte an der Falle. Schon einmal hatte die Unverfrorenheit gesiegt.
    »Herr Ohnenamen«, sagte er kurz entschlossen, und diesmal, ohne seinen höflichen Ton beizubehalten, »ich werde Cosette wieder an mich nehmen, wenn Sie mir nicht tausend Taler geben.«
    Ruhig sagte der Fremde:
    »Komm, Cosette.«
    Er nahm Cosette an die Hand und hob seinen Stock auf, der noch am Boden lag.
    Thénardier sah den starken Knüttel und bedachte, daß die Gegend einsam war. Er verstand, daß alle weitere Mühe unnütz sei, und kehrte um.
Nr. 9 430 taucht wieder auf, und Cosette zieht das große Los
    Jean Valjean war nicht tot.
    Als er ins Meer fiel (oder eigentlich, als er sich ins Meer fallen ließ), war er ohne Kette. Er schwamm bis an ein Schiff, das vor Anker lag, und kletterte in ein Boot, das ausgesetzt war. Dort verbarg er sich bis zum Abend. Mit Einbruch der Nacht warf er sich wieder in die Wogen und erreichte die Küste unweit von Cap Brun. Da er etwas Geld bei sich hatte, konnte er sich Kleider verschaffen. Ein Kaschemmenwirt in der Nähe von Balaguier trieb damals das einträgliche Geschäft, entsprungene Sträflinge zu bekleiden. Dann marschierte Jean Valjean, wie alle Verfolgten, die sich dem Gesetz entziehen müssen, auf unbegangenen Nebenwegen nach Paris. Sein erster Unterschlupf war Pradeaux, später kam er nach Beausset, Briançon, in die Hochalpen. Es war eine unstete, gewagte Flucht. Er erreichte Paris, und in Montfermeil haben wir ihn wiedergefunden.
    Seine erste Sorge in Paris war es gewesen, für ein kleines Mädchen von sieben oder acht Jahren Trauerkleider zu besorgen und ein Quartier zu mieten. Dann war er nach Montfermeil gegangen. Man erinnert sich, daß er schon anläßlich seiner ersten Flucht eine geheimnisvolle Reise in jene Gegend unternommen hatte, mit der sich auch die Justizbehörden beschäftigten. Aber man hielt ihn ja für tot, und dieser Umstand begünstigte das Dunkel, das er um sich zu verbreiten strebte. In Paris war ihm auch ein Zeitungsblatt in die Hände gefallen, das die Nachricht von seinem Tode gebracht hatte. Das beruhigte ihn und brachte ihm fast den Frieden, als ob er wirklich gestorben wäre.
    Noch am selben Abend, an dem Jean Valjean Cosette den Klauen der Thénardiers entrissen hatte, kam er nach Paris zurück. Bei einbrechender Nacht hielt er durch das Tor von Monteaux seinen Einzug. Hier nahm er eine Droschke, die ihn zu der Esplanade des Observatoriums brachte. Dort entließ er sie wieder, bezahlte den Kutscher, nahm Cosette an die Hand, und die beiden marschierten durch eine Reihe dunkler Straßen zum Boulevard de l’Hôpital.

Drittes Buch
Das Haus Gorbeau
Das Nest des Uhus und der Lerche
    Das Haus auf dem Boulevard de l’Hôpital, das die Briefträger nur nach der Nummer fünfzig bis zweiundfünfzig kannten, war bei den Einwohnern des traurigen Vorstadtquartiers Marché-aux-Cheveaux unter dem Namen Haus Gorbeau bekannt, und damit hatte es folgende Bewandtnis:
    Um 1770 waren in Paris, am Châtelet, zwei königliche Prokuratoren tätig gewesen, deren einer Corbeau, der andere Renard hieß – Rabe und Fuchs; eine Fügung, die losen Mäulern Gelegenheit gab, Lafontaines Fabel scherzhaft auf sie anzuwenden. Den Sammlern lustiger Anekdoten ist nicht unbekannt, daß die beiden Würdenträger sich an Ludwig XV. mit der Bitte um Abänderung ihres Namens wandten, und tatsächlich wurde dem Raben Corbeau gestattet, sich fortan Gorbeau zu schreiben,

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