Lesebuch für Katzenfreunde
ist mein. Aber diese geheimnisvolle Ratte da kommt ohne Gestalt und geht ohne Spur. Was ist das? Ich weiß es nicht.« Da sagte die Alte: »Worum du dich da bemüht hast, ist wohl das Wirken, das aus der großen Kraft kommt, die Himmel und Erde erfüllt. Aber was du gewonnen hast, ist doch nur eine psychische Kraft und ist nicht von dem Guten, das den Namen des Guten verdient. Allein schon die Tatsache, daß du dir der Kraft, mit der du siegen willst, bewußt bist, wirkt dem Siege entgegen. Dein Ich ist im Spiel. Wenn das des anderen aber stärker ist als das deine, was dann? Wenn du den Feind mit dem Übergewicht deiner Kraft besiegen willst, stellt er dir die seine entgegen. Bildest du dir ein, allein stark zu sein und alle anderen schwach? Wie aber soll man sich verhalten, wenn es etwas gibt, das man beim besten Willen nicht mit dem Übergewicht der eigenen Kraft besiegen kann – das ist die Frage! Was du da als ›frei‹ und ›gestählt‹ und als ›Himmel und Erde erfüllend‹ in dir fühlst als geistige Kraft, das ist nicht die große Kraft (ki no sbo) selbst, sondern nur ihr Abglanz in dir. Es ist dein eigener Geist, also nur der Schatten des großen Geistes. Es gibt sich zwar so, wie die große Kraft, in Wirklichkeit aber ist es etwas völlig anderes. Der Geist, von dem Menzius spricht, ist stark, weil er von großem Klarsinn bleibend erhellt ist. Dein Geist aber gewinnt seine Kraft nur unter bestimmten Bedingungen. Deine Kraft und die, von der Menzius spricht, haben verschiedenen Ursprung, und so ist auch ihr Wirken verschieden. Sie unterscheiden sich wie der ewige Strom eines Flusses, z. B. des Yangtsekiang, und eine plötzliche Flut, die über Nacht kommt. Was aber ist der Geist, den man bewähren soll, wenn einem etwas gegenübersteht, das von keiner bedingten Geisteskraft (kisei) besiegt werden kann – das ist die Frage! Ein Sprichwort sagt: ›Eine Ratte in der Klemme beißt auch die Katze.‹ Ist der Feind in der Todesklemme, ist er auf nichts angewiesen. Er vergißt sein Leben, vergißt alle Not, vergißt sich selbst, ist frei von Sieg und Niederlage. Und darum ist ein Wille wie Stahl. Wie könnte man ihn mit einer Geisteskraft besiegen, die man sich selbst zuschreibt?« Nun rückte eine ältere graue Katze langsam heran und sagte: »Ja, wirklich, es ist wie Ihr sagt. Die psychische Kraft hat, so stark sie auch sein mag, in sich selbst eine Form (katachi). Was aber Form hat, so klein es auch sei, es ist faßbar. Daher habe ich seit langem meine Seele (kokoro, die Herzkraft) geübt. Ich übe nicht die Kraft aus, die den anderen geistig überwältigt (das ›sei‹, wie die zweite Katze). Ich schlage mich auch nicht herum (wie die erste Katze). Ich versöhne mich mit meinem Gegenüber, lasse mich mit ihm eins werden und widersetze mich ihm überhaupt nicht. Ist der andere stärker als ich, so gebe ich einfach nach und bin ihm gleichsam zu Willen. Meine Kunst besteht gewissermaßen darin, die fliegenden Kieselsteine in einem losen Vorhang aufzufangen. Eine Ratte, die mich angreifen will, mag noch so stark sein, sie findet nichts vor, worauf sie sich stürzen, nichts, woran sie ansetzen könnte. Aber die Ratte von heute ging einfach nicht auf mein Spiel ein. Sie kam und ging unfaßbar wie Gott. Dergleichen habe ich noch nie gesehen.«
Da sagte die Alte: »Was du Versöhnlichkeit nennst, kommt nicht aus dem Wesen, nicht aus der Großen Natur. Es ist eine gemachte, künstliche Versöhnung, ein Kniff. Bewußt willst du damit dem Angriffsgeist des Feindes entgehen. Weil du aber, und sei es auch noch so flüchtig, daran denkst, so merkt er ja deine Absicht. Gibst du dich aber in solcher Geistesverfassung ›versöhnlich‹, so kommt dein dem Angriff zugewandter Geist nur durcheinander, wird getrübt, und die Präzision deiner Wahrnehmung und deines Handelns ist gestört. Was immer du mit bewußter Absicht tust, schränkt die ursprüngliche und aus dem Verborgenen wirkende Schwingung der Großen Natur ein, stört den Fluß ihrer spontanen Bewegung. Wo sollte da eine wunderbare Wirkkraft herkommen? Nur wenn man an nichts denkt, wenn du nichts machst, sondern dich mit deiner Bewegung der Schwingung des Wesens (sbizen no ko) überläßt, hast du keine greifbare Form mehr, und nichts auf Erden kann als Gegen-Form auftreten; und dann gibt es auch keinen Feind mehr, der widerstehen kann.«
»Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß alles, worin Ihr Euch geübt habt, zwecklos sei. Alles und jedes kann eine
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