Lesebuch für Katzenfreunde
ihm nun von allen Seiten her entgegen, so daß Damnio ohne weitere Fragen wußte, was in dieser Gegend Sache war. »Es ist allerdings das Katzenhafte etwas schwierig zu Ergründendes«, meinte speilzähnig eine aschgraue Vettel mit einem Gänseblümchen im Maul, »und wer es begriffen hat, der hat es schon verloren.« Dann machte sie einen grundlosen Satz auf den verdutzten Damnio zu, biß ihm einmal zweimal heftig in die Backe und kehrte ihm ebenso grundlos und weltvergessen den Buckel, um sich auf einem kniehohen Mauersturz zur Ruhe auszustrecken. Wäre Damnio sich nicht beschämend dumm vorgekommen, er hätte am liebsten geradenwegs nach dem Sinn des verwirrenden Treibens gefragt – es erinnerte ihn ein wenig an den Hydepark in der großen Stadt London. Erst allmählich ging ihm ein Licht auf, daß er sich nicht irgendwiewo, sondern im geistigen und politischen Zentrum der gesamten Katzenheit befand, genauer gesagt auf dem Katzenforum, wo jeder Redner seinen Blick zunächst einmal aufs große Allgemeine richtete. Hier wurde erörtert, ob die Katze durch den Menschen oder der Mensch nicht eher von der Katze geprägt worden sei. Hier gingen Philosophien um, der Art, daß eine Katze in den landesüblichen Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht aufgehe, und daß auch der Mensch sich mehr und mehr durch eine Hinneigung zum Unnützen auszeichne. Aber auch von der Auswanderung in fremde Länder war an einigen Ecken die Rede, obwohl keiner recht zu sagen wußte, wohin es diesen Vetter oder jene Nichte nun verschlagen habe. »Der hat sein Glück gemacht«, hieß es dann einfach von einem, »Die ist auf die Nase gefallen« von der anderen, nur daß seit Katzengedenken eigentlich noch niemand zurückgekommen war, eine Wissenslücke, die den Damnio sogleich zum Lob des eigenen schönen Vaterlandes verleitete: »In England hat ein kinderloses Ehepaar die fünfzig oder siebzig Katzen zu seinen leibhaftigen Erben eingesetzt.«
»In England?!« – »Was ist mit England?« Die sensationelle Botschaft sprach sich fast so schnell herum, wie sie dem Munde des bewegten Damnio entschlüpft war; er hätte freilich ebensogut Betschuanaland oder Feuerland oder Helgoland sagen können, es wäre alles auf den gleichen kopflosen Wirbel hinausgelaufen – nun starrte man ihn an, als käme er direkt aus dem Schlaraffenland, wo einem bekanntlich die gebratenen Mäuse in den Mund springen. Damnio fühlte plötzlich etwas in sich anschwellen. Es war erst das zweite Mal, daß er vor anderen Lebewesen auf sein Heimatland zu sprechen kam, und wie es so in ihm emporstieg und durch ihn hindurchströmte, wußte er gar nicht gleich, wo er am besten anfangen sollte, bei den unnachahmlichen Teesitten, bei den unvergleichlichen Eßgewohnheiten, bei den einzigartigen Normannenschlössern, bei dem vorbildlichen und unerreichten Rasensport – Damnio redete bereits in Zungen, ehe er seine Zuhörerschaft richtig wahrgenommen hatte. So entging ihm im Höhenrausch der patriotischen Begeisterung vollkommen, daß die kleine Gemeinde sich so spielerisch zerstreuselte, wie sie gerade eben zusammengekommen war. Erst als er doch einmal einen Punkt in seinen Vortrag setzen mußte, sah er die leegeräumte Stätte um sich herum mit den trostlos verlassenen Sitzdellen; doch mit der Scharfsicht des Gekränkten, der sein volles Herz an eine Sippschaft von Unwürdigen hinzuäußern bereit gewesen war, erkannte er nun auch den tiefsten Grund aller kätzischen Lebensphilosophie. Der Anblick war traurig und abstoßend. Als ob ein dürftiges Mittagsmahl das Höchste der Gefühle wäre und ein angekohlter Hühnerflügel der Weisheit letzter Schluß, trabte und zuckelte, nein, galoppierte nun die ganze Disputantenschar auf eine steinerne Umrandung zu, die den Bezirk des Forums gegen die belebte Straße hin abgrenzte. Fast ärger schien dem Enttäuschten, daß auch die eigenen Beine sich ohne jedes Zutun in Bewegung setzten, die Nase sich in eine insgeheime Duftschneise hineinbohrte, denn, ob er es wollte oder nicht, auch seine Augen hatten letztlich nur ein einziges Bild im Sinn: die üppig behäuften Pappteller und Pergamentpapiere, die einige bunt verkleidete Menschen auf der Balustrade ausgebreitet hatten. Und konnte denn eine Katze das so einfach übersehen?! Halb angezehrte Fisch- und Käsebrötchen klafften gastlich. Pasten und Pizzen dampften verführerisch lecker, als habe man sie eben aus gegenüberliegendem Lokal herangetragen. Köstlich mit Knoblauch gewürzte Müschelchen
Weitere Kostenlose Bücher