Lesebuch für Katzenfreunde
Weise des Weges sein. Auch Technik und Tao können ein und dasselbe sein und dann ist der große Geist, das ›Waltende‹, schon in ihr mitenthalten und bekundet sich auch im Handeln des Leibes. Die Kraft des großen Geistes (ki) dient der Person des Menschen (isbi). Wessen ki frei ist, der kann mit unendlicher Freiheit allem in der rechten Weise begegnen. Wenn sein Geist sich versöhnt, wird er, ohne irgendeine besondere Kraft im Kampf einzusetzen, auch nicht an Gold oder Stein zerbrechen. Nur auf eines kommt es an: daß kein Hauch von Ich-Bewußtsein im Spiel sei, sonst ist alles verdorben. Wenn man auch noch so flüchtig an all das denkt, so ist es nur etwas Erkünsteltes. Es kommt nicht aus dem Wesen, nicht aus der ursprünglichen Schwingung des Weg-Körpers (do-tai). Dann aber wird auch der Gegner einem nicht zu Willen sein, sondern seinerseits widerstehen. Was für eine Weise oder Kunst also soll man gebrauchen? Nur wenn du in jener Verfassung bist, die frei ist von jeglichem Ich-Bewußtsein, wenn du handelst ohne zu handeln, ohne Absicht und Tricks, im Einklang mit der großen Natur, bist du auf dem rechten Wege. So lasse man jegliche Absicht, übe sich in der Absichtslosigkeit und lasse es einfach aus dem Wesen geschehen. Dieser Weg ist ohne Ende, unerschöpflich.«
Und dann fügte die alte Katze noch etwas Erstaunliches hinzu: »Ihr müßt nicht glauben, daß das, was ich euch hier sagte, das Höchste sei. Es ist nicht lange her, da lebte in meinem Nachbardorf ein Kater. Der schlief den ganzen Tag. Irgend etwas, das nach geistiger Kraft aussah, war nicht an ihm zu bemerken. Er lag da wie ein Stück Holz. Niemand hatte ihn je eine Ratte fangen sehen. Aber wo er war, gab es ringsherum keine Ratten! Und wo auch immer er auftauchte oder sich niederließ, ließ keine Ratte sich sehen. Ich suchte ihn einmal auf und fragte ihn, wie das zu verstehen sei. Er gab keine Antwort. Ich fragte ihn noch dreimal. Er schwieg. Aber eigentlich war es nicht so, daß er nicht antworten wollte, sondern er wußte offenbar nicht, was er antworten sollte. Aber so ist das ja: ›Wer es weiß, der sagt es nicht, und wer es sagt, der weiß es nicht.‹ Dieser Kater hatte sich selbst vergessen und so auch alle Dinge im Kreis. Er war ›nichts‹ geworden, hatte den höchsten Stand der Absichtslosigkeit erreicht. Und hier kann man sagen, er hatte den göttlichen Ritterweg gefunden: Zu siegen ohne zu töten. Dem stehe ich noch weit nach.«
Shoken hörte dies wie im Traum, kam herbei, grüßte die alte Katze und sagte: »Nun übe ich mich seit langem schon in der Fechtkunst, aber das Ende habe ich noch nicht erreicht. Ich habe Eure Einsichten vernommen und glaube, den wahren Sinn meines Weges verstanden zu haben, aber inständig bitte ich Euch, sagt mir doch noch etwas mehr über Euer Geheimnis.« Da sprach die Alte: »Wie kann das zugehen? Ich bin nur ein Tier und die Ratte ist meine Nahrung. Wie könnte ich über menschliche Dinge Bescheid wissen! Ich weiß nur soviel: Der Sinn der Fechtkunst liegt nicht bloß darin, über einen Gegner zu siegen. Sie ist vielmehr eine Kunst, mit der man zu gegebener Stunde in die große Klarheit des Lichtgrundes von Tod und Leben gelangt (Seishi wo akiraki ni suru). Ein wahrer Ritter sollte mitten in aller technischen Übung immerzu die geistliche Übung dieses Klarsinnes pflegen. Hierzu aber muß er vor allem die Lehre vom Seinsgrund von Leben und Tod, von der Todesordnung (shi no ri) ergründen. Den großen Klarsinn gewinnt aber nur, wer frei ist von allem, was ihn von diesem Weg abbringt (hen kyoku, Mitten-Ferne), besonders aber von allem fixierenden Denken. Ist das Wesen und seine Begegnung (shin ki) sich ungestört selbst überlassen, frei vom Ich und allen Dingen, kann es sich, wann immer es darauf ankommt, in voller Freiheit bekunden. Wenn Euer Herz aber noch so flüchtig an etwas haftet, wird das Wesen verhaftet und zu etwas In-sich-Stehendem gemacht. Ist es aber zu etwas In-sich-Stehendem geworden, dann ist mit dem Ich, das in sich steht auch etwas da, das ihm widersteht. Dann stehen sich zwei gegenüber und kämpfen gegeneinander um ihren Bestand. Ist das aber der Fall, dann werden die jedem Wandel gewachsenen wunderbaren Funktionen des Wesens gehemmt, ist die Todesklemme dann da, dann hat man den dem Wesen eigenen Klarsinn verloren. Wie könnte man in dieser Verfassung dem Feind in der rechten Haltung begegnen und ruhig ›Sieg und Niederlage‹ ins Auge fassen? Selbst wenn man den Sieg
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