Lesebuch für Katzenfreunde
ist, aber man könnte keineswegs immer sofort begründen, wie man zu diesem Wissen gekommen ist. Wahrscheinlich ist das ungefähr so wie das Verhältnis eines Hundes zu dem Herrn, den er beobachtet. Ein Mensch, der aufsteht, um einen Spaziergang zu machen, bewegt sich anders, als wenn er nur in das Nebenzimmer gehen will. Selbst weiß er’s nicht, aber sein Hund, der beobachtet genau jede kleinste Bewegung seines zum Spaziergang entschlossenen Herrn und rennt sofort jaulend an die Tür, so daß manche Hundeherren ernstlich glauben, ihr Hund könne Gedanken lesen.
Der Kater Henriette, der die Winter vor allem auf einem gepolsterten alten Zentralheizungskörper verbringt, auf dem er nicht gestört zu werden wünscht, guckt überhaupt nicht, wenn ein Mensch an ihm vorübergeht, der schnell hinaus will. Sobald aber jemand auch nur den Entschluß faßt, im Vorbeilaufen den Kater zu streicheln, miaut er unwillig – als Augentier erkennt er schon Bewegungen an uns, die wir noch unbewußt ausführen. Katzen und Hunde sind eben doch die besten Menschenforscher! Mit viel Einfühlungsvermögen können aber auch wir am Gesamtverhalten unserer Katze ablesen, was sie gerade am liebsten tun würde. Ja, wir können sogar auswendig lernen, welche Bewegungen etwa die Fangstimmung einer Katze einleiten, denn durch die Arbeiten der Verhaltensforschung ist das Verhalten einer Katze, die eine Maus fangen will, sogar besser bekannt als die Summe der unbewußten Bewegungen eines Menschen, der sich soeben zu irgendeinem Tun entschlossen hat.
Elsemarie Maletzke
Lili, faß!
Wie ich, ein halbwegs aufgeweckter Mensch, mit so einer dummen Nuß wie meiner Katze Lili zusammenleben kann, ist mir jeden neuen Tag, der über ihrer Schusseligkeit aufgeht, ein Rätsel. Einen Mann, der meine Schuhe im Schrank durcheinanderwirft und sonst nichts zum Gelingen der Partnerschaft beiträgt, könnte ich bitten, auszuziehen. Aber wie kündige ich einer Katze, die sich sturheil auf mich verläßt, im übrigen aber nie gelernt hat, auch nur die Türe hinter sich zu schließen? »Lili, es zieht!« Phh! – Und kein Gedanke, selbst ein wenig für sich aufzukommen oder nützlich zu wirken. Leichter Sport, im Herbst die lebensmüden Brummer von der Fensterscheibe zu tatzeln und aufzufressen, als sei’s Geziefer unübertroffen delikat. Aber wehe, das Dosenfutter ist mal nicht von der ersten Sorte. »Du verschnobbtes Tier, die Katzen in Indien wären froh…« Ph! Ph! Dann stirbt sie eben auch, ehe sie diesen Fraß anrührt. Vom Katzenteller stinkt’s; der Brummer legt die letzten Eier drauf; ich geh’ ein Viertel Hühnerherzen kaufen. Das nennt man Wohngemeinschaft.
Meine Katze Lili trug ursprünglich den Namen Tigerlili, weil ich sie gerne für ein mutiges, freischweifendes Tier halten wollte. Sie hatte, als ich sie vor dreizehn Jahren aus einem verflohten Ami-Haushalt in Rödelheim bezog, noch eine Schwester, die ebenfalls bei mir Aufnahme fand, eine rot-schwarz-grau gefleckte Kätzin voller Energie, Anmut und Intelligenz. Allerdings verschwand dieses erzgescheite Tier nach einem halben Jahr, offenbar ein Opfer seiner Kühnheit, im Sack eines Katzenfängers, so nehme ich an. Meine Katze Lili aber hat tadellos überlebt: strohdumm und unscheinbar, walzenförmig, mit zu kurzen Beinen und kugelrunden Augen. Wenn sie auf der Fensterbank kauert, sieht man sie kaum in ihrem graugetigerten Tarnkostüm, und ein lockendes »Miezimiezi« von der Straße löst ihre polternde Flucht ins Zimmer aus. So dient sie mir zur Anschauung, daß Schönheit kein Garant für Glück ist, daß ein Leben voller Abenteuer kurz ist und man seine Nase nicht in fremde Säcke stecken soll.
Man hört bisweilen, daß Mensch und Haustier sich im Lauf der Jahre ihres Zusammenlebens physiognomisch und charakterlich anpaßten. Der Mops-Halter neige zu Phlegma, O-Beinen, Fettwülsten um den Hals und dergleichen mehr. Das ist natürlich blanker Unfug, wissenschaftlich völlig unhaltbar und in der Praxis tausendfach widerlegt. Man denke nur, ich wollte mich wie meine Katze Lili aufführen, wie sie beim Frühsport mit Affenzahn und von den Möbeln abprallend durch die Wohnung donnert, um sich schließlich völlig desorientiert um ein Stuhlbein zu ringeln. Nein, auch in der Beziehung Mensch-Tier muß einer immer genau wissen, wo es langgeht, und das ist natürlich der Mensch. Ich habe zum Beispiel mit meiner Katze Lili eine gemeinsame Sprache auf der Basis von Gurr- und Schnalzlauten entwickelt,
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