Lesereise - Afrika
Also trete ich umstandslos zum Islam über. Was den exorbitanten Fahrpreis nicht dramatisch senkt, jetzt bin ich eben ein weißer Gläubiger, sprich »rich, very rich.« Zudem muss für Jean-Denis bezahlt werden, der nicht über eine einzige Münze Geld verfügt. Bald werde ich erfahren, dass sie keinen Franc zu viel verlangen, da der kommende Materialverlust jeden Betrag rechtfertigt.
Die Reparatur zieht sich. Tagsüber bewachen wir den Markt, um die Milch und die Papaya nicht zu versäumen. Und abends gibt es arabischen Abenteuerfunk. Oder einen Trip. Die Einheimischen nennen die Blätter unergründlicherweise »trente-six«. Man legt sie in die Schuhe, dann mit nackten Füßen hineinschlüpfen. Das ist ein ergreifendes Gefühl: Um Mitternacht durch Birao spazieren und high dahinschweben. Abgestürzt bin ich mit tombako , einem feuchten Tabak, den man sich zwischen Oberlippe und Zahnfleisch schiebt. Der Flash kommt nach zehn Sekunden. Es blitzt im Kopf. Nach dem Blitz kriecht eisiger Schweiß auf die Stirn. Dann kichern die Biraoaner, und ich muss mich übergeben. Jemand reicht einen Napf Wasser, Jean-Denis organisiert ein Stück Zitrone. Der Körper beutelt, langsam beruhigt sich das pochende Herz.
Nach drei Tagen ist der Laster startbereit. Das Schmiergeld für die Johnny-Walker-blauen Zollbeamten wurde entrichtet, die Ware (Erdnusssäcke) gleichmäßig verstaut, das Getriebe scheppert weniger laut. Bei der Ausfahrt lese ich einen in den Lehm geschmierten Satz: »Les routiers sont les véritables guerriers«, die Fernfahrer sind die wahren Krieger. Erst später entschlüssele ich den Satz so, wie er gemeint ist: als Warnung.
Wir haben Platz, nur fünfzehn Männer befinden sich auf der Ladefläche. Vorbei an Affen und Antilopen und der afrikanischen Bevölkerungsexplosion. Durch Krale mit Maniok stampfenden Müttern, Läuse zupfenden Alten und Kinderrudeln mit dicken Hungerbäuchen und offenen Abszessen. Wir stoppen in einem Dorf neben einem schmalen Fluss. Fodor ist der Chef der sechs Hütten. Analphabet, siebenunddreißig, vierfacher Gatte, elffacher Vater. Immer ist eine seiner Frauen als menschlicher Brutkasten unterwegs. Auf diesen zweihundertfünfzig Quadratmetern Erde, wo sie ärmer leben als ihre sechs Hennen, wird ununterbrochen gezeugt und gebrütet. Da »Allah entscheidet« (so Fodor), wird »das Eintreffen neuer Münder am Tisch des Herrn« (so der Papst) erst dann versiegen, wenn Fodors Geschlecht erlahmt. Bis dahin treffen sie ein, die eitrigen Münder am leeren Tisch des Herrn.
Um Mitternacht Ankunft in Tiroungoulou, stolzes Dorf mit Schlagbaum. Versuch, zwischen rastlosen Schnarchern zu schlafen. Bis vier Uhr früh. Dann höre ich einen scharfen, rhythmischen Gesang. Als ich näher komme, sehe ich zwei Dutzend Kinder um ein Feuer sitzen, alle vor sich ein Holzbrett mit arabischen Schriftzeichen, Suren. Jeden Morgen gehen sie hier für zwei Stunden in die Koranschule. Das hat eine irritierende Faszination. Der peitschende, kreischende Sprechgesang, das Feuer, das Zwielicht des kommenden Tages.
Das Frühstück wird heiterer. Einladung beim »roi du village«. Er ist nur Bürgermeister, aber ein Bürgermeister im Busch ist ein König. Er lässt großzügig auftragen, Maniok, Hirschfleisch, Zuckerrohr. Plötzlich ein schneidender Pfiff, jeder schnellt hoch und erstarrt: Die Flagge wird gehisst. Ist sie oben, wieder Pfiff, wieder setzen und weiteressen. Ist der Bürgermeister fertig, sind die anderen es auch. Vier Bedienstete bringen das Dienstfahrrad. Der Herr König schwingt sich hinauf, mit der Pistole am Gürtel macht er sich auf den Weg zu seinen Verpflichtungen.
So ein Essen bekommen wir nicht wieder. Bis zur Ankunft in Ndele werden wir mit Stroh und einem Holzstück Feuer entfachen, um – mit einer Ausnahme – Hirsebrei und Tee zu kochen. Für den Rest der Zeit haben wir nur eine Aufgabe: uns fortzubewegen.
Wir brechen auf. Da die Regenzeit gerade vorbei ist, unterbrechen stehende Wasser, Morastgruben und drei Meter hohes Schilfgras die bisweilen nicht mehr auffindbare Spur. Jede verdächtige Stelle wird vorher geprüft. Was uns nicht hindert, bis rauf zu den Kotflügeln abzusacken. Dann schaufelt eine Gruppe die schwere, schwarze Erde von den Reifen, andere schlagen Holz, das wie Sandbleche als griffige Starthilfe dienen soll. Manchmal mit Vollgas heraus, manchmal mit Vollgas uns festbohren.
Landen wir in einem Tümpel – das Wasser schwemmt bereits durchs Führerhaus – versucht der
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