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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Kühlschrank lagerte. Als stille Erinnerung an den zuletzt inszenierten Blutrausch. Zugleich wurde der christliche Killer ein guter Spezi französischer Präsidenten. Im Augenblick wirtschaftet General André Kolingba. Die vorläufig letzte Marionette Pariser Außenpolitik, ebenfalls Spezi. Zumindest wird er nicht verdächtigt, beim Abendbrot an Babyfleisch zu naschen. Dafür wissen alle, dass er und seine Clique neunzig Prozent des Diamantenhandels – Hauptdevisenquelle – über ihre Privatkonten abwickeln.
    Weil ein paar Hundert mit den drei Millionen Einwohnern Schindluder treiben, deshalb plündert der Polizeichef, deshalb führt nur eine infernalische Straße raus aus Birao, deshalb bleibt seit einem halben Jahr die Schule geschlossen, deshalb vegetieren Krüppelkinder neben dem fliegenverseuchten Baumstamm in der Dorfmitte.
    Geldsuche. Nach sieben Märschen in sieben verschiedene Himmelsrichtungen finde ich einen barmherzigen Ausbeuter, der sich meiner zu einem exorbitanten Kurs erbarmt. Und die Bilanz wird besser. Jetzt gibt es auf dem Markt Tomaten, Zwiebeln und Sauermilch. Damit gehen wir zurück zu unserem Schlafplatz. Jean-Denis, der neunzehnjährige Zairer, bereitet den Salat. Der Junge saß vier Monate im Gefängnis von Am Dafok. Er war auf dem Weg nach Ägypten, um dort eine Koranschule zu besuchen. Wegen unerlaubten Besitzes von Devisen wurde er verhaftet. Zehn Dollar fanden sie bei ihm. Während dieser Zeit lernte er Arabisch und die sudanesische Justiz kennen. Zwangsarbeit, kein Essen, Stockhiebe auf Gesäß und Geschlechtsteile. Ernährt wurde er von den Familienangehörigen anderer Häftlinge. Sein Besitz – eine Uhr, zwei Hemden, zwei Hosen, eine Reisetasche – verschwand. Konfisziert. Vor einigen Tagen schlief ich neben dem Gefängnis, in dem er einsaß. Reiner Zufall. Er erzählte mir von seiner kurz bevorstehenden Entlassung. Um sie zu beschleunigen, übergab ich seinen Aufpassern das nötige Bargeld. Devisen, versteht sich.
    Fein wird dieser Abend aber erst durch die Anwesenheit der Tunesier. Vertreibt die Nacht die schlimmste Hitze und zieht ein Hundertachtzig-Grad-Sternenhimmel auf, beginnt eine orientalische Märchenstunde, schillernd erstunken und erlogen von diesen beiden arabischen Brüdern Grimm. Sie erzählen und wir fliegen: von ihren Nahkämpfen mit der libyschen Wüstenpolizei zu ihren Geheimtreffen mit den Giganten des Schmuggelbusiness im Pariser Hotel Georges V, rüber nach Griechenland, wo sie auf ihrem Großgrundbesitz entspannen für den nächsten Coup, schließlich Landung – für heute – in Nyala, dem Stinkloch, wo ich vor Kurzem drei Tage darbte, während sie sechs Wochen lang mit der Security feierten und an einem Abend bis zu zehn Frauen – Jungfrauen, wohlgemerkt – von der Bürde der Unschuld erlösten. Ich frage zwei Mal nach und höre es zwei Mal ganz deutlich: »Dix vièrges.«
    Ich erinnere mich wieder, dass viele arabische Märchen mit Kan ya makan anfangen: Vielleicht war es so. Oder vielleicht auch nicht. Sprache als Fallschirm, als Rettungsboot, als Schleudersitz, um sich davonzumachen aus der Trübsal des Alltags. Mohamed und Bebekar halten die Tradition bravourös hoch. Schon der Koran verspricht ein Paradies, das alles anbietet, was in der Wüste nie vorkommt: Süße Wasser, kühle Schatten, juwelenbestickte Sofas und Flüsse von Wein, unaufhörlich nachgeschenkt von unsterblicher Jugend. Die Halluzination zählt, nicht Birao.
    Transportsuche. Ich bin nicht der Einzige, den die Hitze schwächt. Aber Afrika versorgt einen auch dann noch mit Lachkrämpfen. Als ich mich auf dem Markt nach einer Mitfahrgelegenheit umhöre, werde ich mit wundersamen Worten verwöhnt: »Morgen landet ein Flugzeug!« Als ich frage, ob – vielleicht hat die Maschine Verspätung – der Zug pünktlich ankommen wird, höre ich: »Bien sûr«, natürlich. So reden sie, ist doch keiner grausam genug, dem Fremden zu sagen, dass es weder Piste noch Bahnhof gibt. Nun, da ich auch der Auskunft vom ankommenden Zug misstraue, sage ich: »Im Notfall nehme ich das Boot.« Und jetzt kreischen alle vor Vergnügen. Und alle wissen wieder, dass das Lachen und das Lachen aus dem letzten Loch auf diesem Kontinent erfunden wurden.
    Irgendwann finde ich eine Gruppe sudanesischer Händler, die nach Bangui, in die Hauptstadt, wollen. Sie liegen fest, reparieren gerade ihren ramponierten Lkw. Zähe Verhandlungen. Jemand flüstert mir zu, dass es besser wäre, wenn ich mich als Moslem vorstellte.

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