Lesereise Finnland
vorher gefragt, nachdem seine schwedischsprachige Kontaktaufnahme nur mit freundlichen Schulterzucken und einem etwas hilflosen Lächeln beantwortet wurde. Er lehnt an seinem Traktor, hat den Anhänger voller Kartoffeln. Er sei einer der wichtigsten Zulieferer dieser Fabrik, sei jetzt gerade wieder auf dem Weg dorthin. Jede zweite Åland-Kartoffel werde dort verarbeitet: zu wunderbaren Chips mit Biss, die nach ganz Finnland verkauft würden und die besten überhaupt seien, neuerdings auch in den Geschmacksrichtungen Paprika und Zwiebel. Den gesamten Ertrag seiner Ländereien verkaufe er dorthin. »Gut«, meint er, »dass es unsere einzige Fabrik ist. Dann bleibt alles angenehm dörflich, so herrlich schwedisch und trotzdem ein bisschen finnisch.« Was immer er damit meint.
Bei den Bewohnern der Insel Kumlinge scheint der åländische Patriotismus besonders ausgeprägt zu sein. Das eigene Inselbanner flattert vor jedem Gehöft, vor allen Häusern. Wieder sind die Straßen einsam – Menschen sieht man nur selten: beim Einkaufen in winzigen Geschäften, vereinzelt bei der Gartenarbeit vor ihren roten Holzhäusern. Sonst nicht. Wenn sich mal welche treffen, fällt die Begrüßung so herzlich und wortreich aus, als wäre Sichtkontakt etwas Seltenes und die direkte Begegnung die absolute Ausnahme. Als wäre das Gegenüber gerade mindestens von einer Weltreise zurück. Weil Menschen so selten sind, kann auch jeder Fremde – und sei es im Vorbeifahren – fest auf einen Gruß zählen.
Betagte Bockwindmühlen recken ihre Flügel am Wegesrand in den Wind und versuchen abzuheben, als würden sie heimlich von Insel zu Insel rotieren. Direkt neben Bauernhöfen stehen sie oder unerklärbar weit von ihnen entfernt hoch oben auf von Heidekraut umwucherten Felsplateaus. Hier sind die Windmühlen noch ländlicher Alltag, während sie auf der Insel Sund – nicht weit von Mariehamn – im Freilicht-Heimatmuseum Jan Karlsgården bereits zum historisch-musealen Repertoire der Åland-Inseln gehören. Als ob die heimliche Weltstadt ausstrahlte und in ihrer Nähe Altes nur noch im Museum geduldet würde.
Neben der Straße zaubert die nordische Sonne silberne Schleier auf das stille Wasser felsiger Buchten. Wieder klammern sich windschiefe Bootshäuser auf altersschwachen Holzstelzen an den Granit. Im Gegensatz zu den farbenfrohen Wohnhäuschen sind sie hier von einer Aura des Morbiden umgeben. In ihrem Inneren verbergen sie die Synonyme des Sommers, wenn das Meer zur dunkelblauen Spielwiese wird, als vergrößerten die Ålands ihre Fläche plötzlich um ein Vielfaches. Boote aller Bauarten, Klassen und Größen warten dort darauf, bei schönem Wetter ausgeführt zu werden. Im Hochsommer spielt sich das Leben auf dem Wasser der Schären zwischen den Inseln ab. Einen Åländer ohne Boot gibt es nicht. Es ist wichtiger noch als die Insulanerbibel, als das Fahrplanheft der Skärgårdstrafiken.
Auf der Insel Föglö scheinen die gletschernen Schutzmäntel urzeitlich abgeschliffener Felsen erst vor Stunden abgetaut zu sein. Moos in allen Nuancen von Grün zieht sich über sonnengewärmte Felsen am Ufer der Buchten, wo sich Blindschleichen und Kreuzottern sonnen und Verkehrsschilder unsichtbare Autofahrer vor »Elchwechsel« warnen.
Bis Anfang der achtziger Jahre hat es diese Art Großwild auf den Åland-Inseln nicht gegeben, dann aber, so mutmaßt man zumindest, müssen verschiedentlich im Frühjahr bei Tauwetter auf Eisschollen gefangene Elche angetrieben worden sein. Auf einigen Inseln sind sie heutzutage keine Seltenheit mehr. Zumindest tun die Verkehrsschilder so – auch wenn Busfahrer Klaas Södersteen während seiner täglichen Touren auf den östlichen Inseln des Archipels noch nie einen gesehen hat. »Ich schwöre«, hatte er sogar gesagt – und dann mit den Augen gezwinkert: »Und vor Radfahrern haben Elche besondere Angst …«
Fasta Åland nennen die Insulaner ihre große Hauptinsel: »Festland« – obwohl auch sie bei genauerem Hinsehen aus mehreren eng beieinander liegenden Inseln besteht, wo Fähren überflüssig sind, weil die Eiszeit das Land über dem Meeresspiegel nicht auseinandergezerrt hat und dort Brücken genügen, um die schmalen Meeresarme zu überspannen. Den Bewohnern hier – geografisch weit näher an Schweden als an Finnland – wird nachgesagt, sie seien dermaßen »schwedophil«, dass sie den Schirm aufspannten, wenn es in Schweden zu regnen begänne …
Christer Antman ist echter Åländer – und
Weitere Kostenlose Bücher