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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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wäre er es nicht, man hätte ihn sofort dazu ernannt. Er ist schräg genug, trägt drinnen wie draußen und wahrscheinlich sogar rund um die Uhr eine Baskenmütze – und hat bis vor kurzem Schnecken gezüchtet. Die Kopfbedeckung mit Schraubverschluss war das Mitbringsel einer kombinierten Spanien-Frankreich-Reise, während der er die Stammväter und -mütter des jungen Unternehmens zusammengekauft hat. Der Traum von Christer und Erika Antman war es, ihren schleimigen Hausstand bald kräuterbuttergetränkt Gourmet-Rachen im eigenen Schnecken-Spezialitätenrestaurant hinuntergleiten lassen zu können. Bis dahin wurden die ausgewachsenen Viecher an andere Feinschmeckertreffs verkauft. Und auch Visitenkarten mit wohlklingenden Titeln wie »Managing Director« zum ebenso wohlklingenden Firmennamen hatten die beiden Schneckenfarmer bereitwillig in Umlauf gebracht. Trotzdem haben die Gründer ihre schleimige Farm inzwischen in andere Hände übergeben. Nun geben sich Olle und Benita Strömberg mit den Schnecken ab. »Ålandia Escargots« prangt in roter Schrift auf weißem Grund auf dem Firmenschild am Hauseingang. Die åländische Weinbergschnecken-Farm ist nur eine Straßenbiegung vom grobschlächtig-grauen Schloss Kastelholm auf der Insel Sund entfernt.
    Der klobige Berner Sennhund der Strömbergs hat wenig übrig für die glitschigen Viecher, denen Herrchen und Frauchen so viel Aufmerksamkeit schenken. Nicht mal apportieren darf man sie, geschweige denn, dass sie jemals hundgerechte oder auch nur irgendwie interessante Geräusche hervorgebracht hätten. Doofe Spielgefährten.
    Die ersten Zuchterfolge peppeln die Strömbergs in drei angenehm feuchten Zimmern auf. Levande föda sozusagen. Sehr lebendig. Kristina aus Brändö würde sich grausen, aber den alteingesessenen Nachbarn gefällt das Projekt. Es ist wundervoll schratig und originell inszeniert, hat bei pankoka und Schnaps den besten Weitererzählwert. Und sollte es gut laufen, es würde womöglich die wirtschaftliche Abhängigkeit der Bauern von der Kartoffelchipsfabrik verringern und das agrarische Leistungsspektrum der Inseln gewaltig diversifizieren. So etwas kann nie schaden. Nicht mal hier. Und auch der Standort ist clever gewählt, falls Export irgendwann ein Thema würde. Die Weltstadt Mariehamn ist maximal fünfzehn Autominuten entfernt. Sie hat einen Flughafen. Sie hat ein Fährterminal. Paris, Rom oder Tacatuca wären schnell erreicht. Mariehamn nimmt eine Ausnahmestellung ein. Man kann abreisen, ohne ins Fahrplanheft der Skärgårdstrafiken schauen zu müssen.
    Man kann aber auch bleiben, denn die Kleinstadt ist hübsch, hat breite Lindenalleen, viel Grün und keine Pac-Man-Automaten. »Ist sie nicht groß, ist sie nicht schön? Schauen Sie nur!«, schwärmt Gunilla Nordlund von ihrer Miniaturmetropole und weist mit der Hand auf das Panorama vor ihrem Bürofenster. Sie muss von Berufs wegen schwärmen und tut es dennoch aus Überzeugung. Gunilla arbeitet bei Ålands Turist in Mariehamn, dem Fremdenverkehrsbüro der Inselwelt. Sie weiß alles über ihre heißgeliebte Heimat – bis auf den Nachnamen von Kristina aus Brändö. Sie steht immer auf der Seite der finnischen Eishockey-Nationalmannschaft, hat ihre Vorbehalte gegen Weinbergschnecken, hasst Pac-Man, liebt Fähren, Felsen, Kartoffelchips, schwärmt von »unseren herrlichen Herbststürmen hier«. Und sie hat das Fahrplanheft der Skärgårdstrafiken auf dem Schreibtisch liegen.

Am vierten roten Briefkasten links
Ferienhausurlaub im Saimaa-Seengebiet: wo der Elch auf der Veranda vorbeischaut
    »Am vierten roten Briefkasten östlich des Ortsausgangs links, danach knapp zehn Kilometer weit dem unbefestigten Waldweg folgen. An der fünften Gabelung rechts abbiegen, etwa siebenhundert Meter geradeaus, beim gelben Briefkasten wieder rechts.« Was sich wie verworrene Wegweisungen zum versteckten Treffpunkt zweier Aushilfsagenten liest und in der Fantasie den unmittelbar bevorstehenden Auftritt aller Größen des Genres erwarten lässt, entpuppt sich in Wirklichkeit als die um Präzision bemühte Wegbeschreibung zu einem Ferienblockhaus direkt am Ufer des Kesälahti-Sees im finnischen Saimaa-Seengebiet – und schließt mit »angenehmen Aufenthalt«.
    Straßennamen, Läden, Kirchtürme oder auch nur Hausnummern als Orientierungshilfen gibt es im skandinavischen Urwald rund zweihundertdreißig Kilometer östlich von Helsinki nicht mehr. Nicht auf den Forstwegen und Pisten abseits der asphaltierten

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