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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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Landstraßen. Nur immer neue Abzweigungen ins immer gleiche Grün. Und gelegentlich Briefkästen, von denen manche nicht rot sind. Zum Glück. Farbenfreude erleichtert die Orientierung. Die dazugehörigen Häuser sind von den holperigen Waldwegen aus nie zu erkennen. Sähe man den Nachbarn – und sei er noch so nett –, wäre die Enge zu groß. Finnen würden von »dichter Bebauung« sprechen. Sich wie in einer Großstadt fühlen. Die Natur vermissen. Wenn ein fremder Schornstein am Horizont zu sehen ist, dann sollte mindestens ein See dazwischen liegen.
    Das Info-Faltblatt des Ferienhausvermieters erfordert Spürsinn und offene Augen. Allzu leicht könnte man eine der Gabelungen übersehen oder den orangenen Briefkasten kurz hinter der Landstraße bereits voreilig als einen der vier roten werten und mitzählen. Allzu oft verzetteln sich Fremde hier bei der Suche nach ihrem gebuchten Quartier. Schlimm ist das nicht. Es gehört dazu, wird quasi erwartet. Und ist ein typisches Finnlanderlebnis.
    Im Zweifel bleibt nur, den Weg bis zur letzten verbürgten Gabelung oder zur letzten befestigten Landstraße zurückzufahren und es mit dem Vermieterfaltblatt auf dem Schoß ein zweites Mal zu versuchen. Oder ein drittes. Manchmal noch öfter. Es spricht deshalb einiges dafür, bei Tageslicht anzureisen. Und es ist vor allem vor diesem Hintergrund eine nette Geste der Natur, dass es in Finnland während der sommerlichen Ferienhaussaison so spät dunkel wird.
    Die Wegbeschreibung beim dritten Ferienhaus-Find-Versuch in einem spontanen und sehr unnordischen Gefühlsausbruch zu zerknüllen und aus dem Autofenster zu schleudern, hilft nur beim Aggressionsabbau. Dem Vermieterzettel ist man ausgeliefert, denn sich alternativ bis zum Ziel durchfragen zu wollen, scheidet aus. Wo keine Menschenseele unterwegs ist und es keinen Gegenverkehr gibt, sind potenzielle Adressaten für die Frage nach dem richtigen Weg rar. Also: wieder mit dem vollbeladenen Urlaubsauto zurücksetzen, nach dem zerknüllten Zettel zwischen Moosen und Farnen suchen, weitersuchen, kurz toben, nochmal weitersuchen, irgendwann auflachen, aufgeben, entspannen, in den Spurrillen des Waldwegs rangieren, mühsam wenden, zurück zur Straße, dasselbe nochmal von vorn und nochmal zählen. Diesmal aus der Erinnerung. Viermal knallrot, dann links. Der Tacho weiß es genau: nach neun Komma acht Kilometern die fünfte Gabelung. Rechts einschlagen. Hüfthohe Sumpfgräser scheuern auf dem engen Weg an der Karosserie, Birkenäste gravieren Grüße aus der Wildnis in den Dachlack. Der Beginn von Ferien am Rande der Einsamkeit, irgendwo in den Wäldern Ostskandinaviens – fernab aller Großstadthektik, fernab von Zivilisationslärm. Weit weg vom Asphalt, von Straßennamen und Hinweisschildern. Genau das, was man sich gewünscht hat. Das, weswegen man hergereist ist. Einsamkeit. Weite. Stille. Natur. Was macht es da schon aus, dass sich die letzten Kilometer der Anreise ziehen, sogar dehnen. Und dass es der sonst so plapperfreudigen, festinstallierten Pfadfinderin im Navigationssystem längst die Stimme verschlagen hat. Sie schweigt. Schon lange. Das ist sehr gut so. Es macht die ersehnte Einsamkeit umso glaubwürdiger.
    Und wäre da nicht das Transistorradio Baujahr 1938 auf dem Fenstersims der Ferienhausküche, dann blieben fremde Stimmen vollständig ausgesperrt. Neue Heimat für Aussteiger auf Zeit. Ein Flecken, um die Unerreichbarkeit auszukosten. Das Land der zweihunderttausend Seen bietet vielen Platz, ohne dass die Individualdistanz deshalb schrumpfen muss. Den Einheimischen sowieso und im Sommer zusätzlich den Feriengästen aus der überbevölkerten und von nummerierten und mit Namen versehenen Straßen durchzogenen Mitte des Kontinents.
    Dem Kurzwellenempfänger gelingt es nur, finnischsprachige Sender und den Funk des nahen Nachbarn Russland einzufangen. Wer das Glück hat, keine der beiden Sprachen zu verstehen, bleibt von den neuesten Meldungen über Politikerrücktritte, Erdbeben und Flugzeugabstürze einen Urlaub lang verschont. Einzig der Handyempfang ist wie überall im Nokia-Finnland ausgezeichnet, aber das lässt sich notfalls ignorieren – oder torpedieren, wenn man mit Absicht das Ladegerät zu Hause vergisst.
    Wer es zwischendurch gern mal gesellig hätte, müsste quer über den See zum nächstgelegenen Gebäude rudern. Das Boot ist im Mietpreis eingeschlossen und wartet gut vertäut am hauseigenen Steg. Feuerholz für Kamin oder Saunaofen ist an der

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