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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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der Gewölbekapelle von Lumi Linna. Altar, Kreuz, Taufbecken und Kirchenbänke sind aus Ostsee-Eis. Die ökumenische Schneekapelle wird abwechselnd evangelisch-lutherisch oder orthodox dekoriert.
    Pertti Telkka hatte auch ohne Schneeburg keine Sorge um seinen Job. Mit Schneeburg aber hat er deutlich mehr zu tun – und freut sich darüber. Mehr als dreißig Paare lassen sich inzwischen im Schnitt jede Saison in seiner komplett aus Schnee und Eis gebauten Kapelle am Nordzipfel der Ostsee trauen und auch Taufen gab es bereits. Sicherheitshalber werden die Täuflinge in so etwas wie einen Strampelanzug aus Rentierfell gehüllt, damit sie die kurze Zeremonie ohne Frösteln überstehen.
    Rund um Lumi Linna hat sich ein winterliches Freizeitzentrum entwickelt. Das beginnt bei Hundeschlittentouren, die im Zehn-Minuten-Takt am Burgportal starten, und reicht bis hin zur Möglichkeit, am Parasailing-Fallschirm im Schlepp eines rasenden Motorschlittens in zwanzig Meter Höhe über die zugefrorene Ostsee zu rauschen. Zur selben Zeit hocken Kinder stolz auf dem Kutschbock eines Ponywagens, der von einem einstmals arbeitslosen Mann im Kobold-Dress geführt wird – die Fahrtrunde für drei Euro. Und auch die Kunsthandwerker machen während des Winters gute Geschäfte, seit es die Burg gibt. In den alten (und geheizten) Holzhäusern des Hafenviertels von Kemi ein paar Schritte hinter der Burgmauer verkaufen sie Souvenirs, während nebenan dampfende Lachssuppe und Rentiergeschnetzeltes für die Besucher aufgetischt wird.
    Selbst Maskottchen hat die Burg: die zwei kugeligen Schlossgespenster Arttu und Terttu, um die herum Seppo ein Kindermärchen geschrieben hat. Ihre Kostüme sind schmaler geworden im Laufe der Jahre, denn die erste Maskottchengeneration geriet so kugelig, dass die Gestalten durch keine Tür passten. Die Darsteller mussten im Freien möglichst ungesehen hinter einer Schneewand in die roten und blauen Kugelkostüme mit den gelben Sternchenmustern schlüpfen und zwanzig Minuten später an derselben Stelle durchgefroren wieder herausklettern. Ihr Format hatte sie auf den Burghof als Bühne für ihre Auftritte festgelegt. Inzwischen ist die Verkleidung weniger raumgreifend, sind die Türen breiter geworden …
    Wenn die Nacht hereinbricht und das Quecksilber noch tiefer sackt, bekommt das Leben in Kemi Töne. Fast jeden Abend steht Livemusik im Amphitheater der Schneeburg auf dem winterlichen Kulturprogramm. Mal sind es klassische Konzerte, mal ist es ungelenkes Disco-Dancing in Thermohosen und klobigen Fellstiefeln. Die Burg ist zweieinhalb Monate lang winterlicher Treffpunkt der Stadt, der Einheimischen wie der Fremden, ein kurioses nordisches Kulturzentrum, wo bereits Hans Christian Andersens »Schneekönigin« in der Musical-Version inszeniert wurde – in der Titelrolle Tarja Ylitalo, eine der bekanntesten finnischen Schlagersängerinnen.
    Obwohl es bei arktischen Temperaturen nicht leicht fällt, eine Stunde im Freien still zu sitzen oder zu stehen, sind die meisten Veranstaltungen ausverkauft. Das beschert Raija Palonpää zusätzliche Arbeit. Abends hockt sie mit Kollegen im Schneeburgbüro in der Innenstadt, zählt Geld, rollt Münzen. Und freut sich, dass Seppo Lankinen, dieser schüchterne Typ mit dem Vollbart, irgendwann Anfang 1995 die Idee mit der Schneeburg hatte. Und dass er beharrlich genug war, sie durchzusetzen. Noch im selben Jahr. Und seitdem immer wieder. Jedesmal anders. Immer erfolgreich. Und stets mit vielen Jobs auf Zeit für Arbeitslose aus der Region. Manche weinen, wenn die Burg unter der Frühlingssonne zu schmelzen beginnt und die Bulldozer anrücken. Doch die Perspektiven sind günstig: Im nächsten November wird alles von Neuem beginnen.

Eisbrechersafari auf der Ostsee
An Bord der zehntausend PS starken Sampo unterwegs vor der finnischen Küste
    Jouni Laurila gehört zu den wenigen Kapitänen dieser Welt, deren Schiffe auf hoher See von Rentieren überholt werden. Das liegt zum einen am Fahrtgebiet, zum anderen am Tempo. Laurila kommandiert den zehntausend PS starken Eisbrecher Sampo, der im äußersten Nordzipfel der Ostsee vor der finnischen Küste eingesetzt wird und seinen Heimatliegeplatz in Ajos bei Kemi hat. Trotz der kräftigen Dieselgeneratoren bringt es Sampo im Schnitt auf weniger als zehn Stundenkilometer. Das vierzig bis sechzig Zentimeter dicke Eis fordert seinen Tribut.
    Laurila ist bei Wind, Wetter und Eiseskälte ohne freien Tag von der ersten Dezemberwoche bis Ende

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