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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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ein Vielfaches der Investitionskosten in die Kassen der Gemeinde zurückfließen. Eine Studie spricht von bis zu fünf Millionen Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen pro Jahr. Trotzdem muss Seppo sich immer noch regelmäßig mit engstirnigen Gegnern in der einheimischen Bevölkerung auseinandersetzen, die weder Wert noch Reiz der Burg erkennen und im April einzig die Gelder dahinschmelzen sehen.
    Mauri Markkanen zählt zu den klaren Befürwortern. Der hünenhafte Künstler stattet die Burg mit Eisskulpturen aus, die er in seinem Schnee-Atelier oberhalb der Festung formt. Vormittags hilft Steinmetzgesellin Raija ihm nun dabei. Nur eine halbe Stunde braucht Markkanen, um mit Motorsäge und Lötkolben aus Eisquadern von einem Meter Seitenlänge Schwäne herauszuarbeiten, Eisbären erscheinen zu lassen, Seehunde zu zaubern. Tiere und Objekte, von denen nur er weiß, dass sie in den Quadern vorhanden sind. Für alle anderen muss er sie erst sichtbar machen.
    Der Applaus der Zuschauer ist ihm sicher, wenn wieder eines seiner vergänglichen Kunstwerke der Vollendung entgegenstrebt. Wenn er sich mit der Motorsäge ins Eis frisst, unnötige Ecken und Kanten in rasender Geschwindigkeit wegfräst, als arbeite er mit Butter. Wenn er die röhrende Säge führt, als wäre sie sein Florett. Mit Bunsenbrenner und zweckentfremdetem Scheibenwischer macht er sich an die Feinarbeit, mit einem Lötkolben an die letzten Details.
    Raija wird von Winter zu Winter schneller und ist dabei, sich als Eiskünstlerin ebenfalls einen Namen zu machen. Verkäuflich sind die Kunstwerke nicht. Sie sind zu vergänglich, als dass sich ein Investor fände – aber sie machen neugierig, sind Auslöser für Auftragsarbeiten aus Material, das die Zeiten überdauert. Letzten Sommer hat Raija drei Monate lang an Bimsstein- und Granitskulpturen gearbeitet, die ein Kunstsammler bei ihr hat anfertigen lassen, der Monate zuvor ihre Werke in der Schneeburg bewundert hatte. Daran gearbeitet hat sie in der unausgelasteten Grabsteinwerkstatt ihres einstigen Chefs. Nun auf eigene Rechnung.
    Ende November beginnen alljährlich die Bauarbeiten für Lumi Linna. Motorsägen kreischen, wenn Arbeiter Eisblock für Eisblock für die Fundamente aus der zugefrorenen Decke des Bottnischen Meerbusens schneiden. Fast zwei Monate dauert es, ehe acht Meter hohe und stellenweise knapp zwei Meter dicke Wälle das Schneeburgareal in der Fünfundzwanzigtausend-Einwohner-Stadt umschließen. Mehr als einen Hektar Grundfläche misst die strahlendweiße Festung, davon über fünfhundert Quadratmeter überdachter Fläche mit Bar, Restaurant, Kunstgalerie, mit Wandelhallen und Emporen, mit Türmen und Aussichtsplattformen.
    Die Wände bestehen überwiegend aus Kunstschnee, der mit Schneekanonen aus Grundwasser produziert und zwischen Verschalungen aus Holz oder Blech gespritzt wird, die sechs Stunden später entfernt werden können. »So ist es viel stabiler. Und obendrein weißer«, freut sich Burgherr Seppo Lankinen. Zehn Millionen Liter Wasser werden zu Schnee verarbeitet, fünfzehntausend Kubikmeter der weißen Masse verbaut. Sogar Fenster und Möbel bestehen aus poliertem Ostsee-Eis, und selbst die Gläser, in denen die Drinks in der Schneeburgbar serviert werden, sind aus Eis gedrechselt. Die Temperatur im Inneren der Burg liegt durchgängig bei etwa minus vier Grad – selbst wenn es draußen mal dreißig Grad kälter sein sollte.
    In die Schneewände werden jedes Jahr Strom- und sogar Telefonkabel eingearbeitet, darüber hinaus feinfühlige Sensoren. Die ganze Saison über wird die Innentemperatur der Wände mehrmals täglich gemessen, die Stabilität berechnet. Erst Ende April schieben Bulldozer das Bauwerk zurück in die Ostsee – rechtzeitig bevor die Statik durch das einsetzende Tauwetter leidet. Studenten der nordfinnischen Universität Oulu haben errechnet, dass die Burg bis in den Juni hinein halten würde, doch in Kemi will man lieber kein Risiko eingehen.
    Jedes Jahr zeichnet ein anderer Architekt für den Bau verantwortlich, jedes Jahr wird die Schneeburg variiert. Seppo Lankinen machte mit seinem Entwurf 1995 den Anfang, finnische Architekten legten in den Folgejahren nach.
    Kerzen flackern im Dämmerlicht, wenn das Brautpaar vortritt und Priester Pertti Telkka die Hände zum Segen erhebt. Ein paar Minuten zuvor hat er den Altar mit Fön und Scheibenwischer glattgeschliffen. Die Traugemeinde ist dick vermummt, die Eltern des Paares hocken auf Rentierfellen: Hochzeit in

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