Lesereise Finnland
April täglich im Dienst. Bis zu dreimal am Tag fährt er seinen Vierzig-Kilometer-Rundkurs. Dafür hat er den Rest des Jahres Urlaub und kann sich um Familie, Haus und Garten in Südfinnland kümmern. »Diese Regelung gefällt mir gut«, erzählt der Saisonseebär mit dem Vollbart, »und noch einen Grund gibt es, warum ich diesen Job mache: Jeder Tag hier oben ist völlig anders, jeder ist spannender als der vorher. Nichts ist Routine. Die Szenerie wechselt alle paar Stunden. Mal türmt der Wind das Ostsee-Eis zu Bergen auf, mal laufen Rentiere neben dem Bug her und springen von Scholle zu Scholle. Mal beobachten wir durchs Fernglas Seehunde.«
Bis vor ein paar Jahren fuhr Laurila noch im Liniendienst zwischen Südfinnland und dem Mittelmeer. Der Kontrast der Fahrtgebiete könnte kaum größer sein.
Sampo wurde 1960 in Dienst gestellt. Das Datum prangt auf der Messingglocke am Heck. Längst hat sich das Schiff zur Touristenattraktion gewandelt und kombiniert nun das Nützliche mit dem Lukrativen, Eisbrechen mit Urlauberfahrten. Für knapp hundertfünfzig Euro können Tagesbesucher fünf Stunden lang auf Eisbrechersafari gehen – Vollpension an Bord, An- und Abfahrt übers Eis per Motorschlitten, Brückenbesichtigung und auf Wunsch Eislochbaden im wasserdichten Thermoanzug in der Fahrrinne eingeschlossen.
Die Idee zu den Eisbrecherfahrten für Urlauber hatte der Bürgermeister von Kemi. Er wollte Touristen mit einer ungewöhnlichen Attraktion in den kleinen Ort an der Nordküste des Bottnischen Meerbusens locken, der bis dato einzig von der holzverarbeitenden Industrie lebte. Das Konzept ging auf. Inzwischen hat Sampo täglich bis zu hundertfünfzig Gäste an Bord und startet auf Wunsch zu Charterraten zwischen sechs- und achttausend Euro auch zu privaten Törns durchs Ostsee-Eis. Firmen sind es, die solche Ausflüge im Rahmen von Betriebsfesten buchen oder in den Salons an Bord Seminare zur Mitarbeiterschulung abhalten und mit einem ungewöhnlichen Erlebnis würzen wollen. Im Gästebuch haben sich auch Passagiere aus Australien, Togo, Ecuador und Saudi-Arabien verewigt.
Im Sommer ist viel Zeit, die Maschinen des Eisbrechers neu zu ölen. Sampo liegt dann als Restaurantschiff vor Anker und wird nebenbei frisch geschminkt für den nächsten Wintereinsatz. Eimerweise wird schwarze Spezialfarbe auf den Rumpf aufgetragen, um alle Spuren von der Gegenwehr des Eises zu tilgen, ehe der nächste Wintereinsatz ansteht.
Es scheuert, quietscht, knirscht und kracht, wenn Sampo den Kai von Ajos verlässt und den Kampf gegen die Naturgewalten aufnimmt. Zweieinhalbtausend Liter Dieseltreibstoff rauchen pro Stunde im Tausch gegen Maschinenkraft durch den Schornstein. Der über vierzig Jahre alte Koloss wälzt sich über das Eis. Sein speziell geformter Bug schiebt sich auf die Schollen und bringt sie mit seinem Gewicht von dreitausendfünfhundertvierzig Tonnen zum Bersten. Das Schiff rutscht wie ein schwerer Schlitten über die Eisdecke hinweg, von der nur zehn Prozent aus dem Wasser herausragen. Neunzig Prozent befinden sich unterhalb der Wasseroberfläche. Wie Kekse krachen die Eisschollen vor den Augen der Passagiere auseinander, die dick vermummt in Thermoanzügen über die Reling starren und immer wieder von einem Fuß auf den anderen hin- und hertrippeln, um bei minus dreißig Grad Außentemperatur die Durchblutung in Schwung zu halten. Nur um den Fotoapparat fürs Erinnerungsbild auszulösen, werden die Finger aus dicken Handschuhen hervorgeholt und gleich wieder tief darin versenkt. Wem es im Freien zu kalt ist, der verfolgt das Geschehen aus der Cafeteria und drückt die Nase an Panoramascheiben platt.
Hinter sich lässt Sampo, benannt nach der Zaubermühle im finnischen Nationalepos »Kalevala«, eine Spur aus kleinen Klümpchen von der Schiffsschraube zermahlenen und gequirlten Eises. Die eigentlichen Fahrtgeräusche sind überraschend leise. Ab und zu nur rumpelt es, wie wenn ein Auto über eine Bodenwelle fährt. Vier Dieselmotoren treiben das fünfundsiebzig Meter lange, siebzehn Meter vierzig breite und theoretisch bis zu sechzehn Knoten schnelle Schiff an.
An diesem Morgen ist Sampo ersehnter Retter für einen Frachter mit Heimathafen Kingston auf Jamaica. Die Rocco hat es nicht alleine durchs Eis geschafft und ist ein paar hundert Meter vor den Kaianlagen stecken geblieben. Dank fürs Freischaufeln ist ein fröhliches Hupkonzert durch das Schiffshorn am Schornstein, das von Sampo mit dem markigen Tröten des
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