Lesereise Finnland
aufmerksam zuzuhören. Wie Pertti hier in der Wildnis seine Frau kennengelernt habe, will jemand von ihm wissen. »Ich bin mit dem Schlitten ein paarmal nach Rovaniemi hineingefahren, und beim dritten Mal ist sie einfach daran hängengeblieben. So einfach war das.«
Er verzieht keine Miene und sonnt sich in den erstaunten Gesichtern seiner Gäste. Letzten Sommer haben die beiden zusammen zwei Wochen Urlaub an der See gemacht: »Am Eismeer in Nordnorwegen.« Palmen reizen Pertti nicht: »Kälte und Tannen – das ist viel toller.«
Den Saunabesuch verschwitzt
Hundertfünfundzwanzig Grad Temperaturunterschied: vom finnischen Saunakult
Die Tür der kleinen Holzhütte am See, aus deren Schornstein es seit einer Stunde kräftig dampft, fliegt mit Schwung auf. Drei nackte Gestalten huschen durch den sternenklaren Abend. Einer wälzt sich im weichen Neuschnee gleich vor der Hütte, die beiden anderen springen vom Steg aus in ein präpariertes Eisloch im See. Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen: etwa hundertfünfundzwanzig Grad – minus fünfundzwanzig im Freien, plus hundert in der Hütte. Wer weniger abgehärtet ist, darf das Eisloch gegen eine kalte Dusche tauschen. Abendunterhaltung auf Finnisch.
Die Tradition der Sauna reicht Jahrhunderte weit zurück – vor allem als Begegnungsstätte, nicht als Ort schamhafter Zuflucht, dessen Tür man von innen verriegelt. Die skandinavische Sauna ist ein Ort für Gespräche und der Geselligkeit, wo sich im wörtlichsten Sinne das Eis brechen lässt. Angeblich schmelzen in der Hitze Aggressionen dahin. Und angeblich können saunageübte Finnen in diesem Ambiente saunaungeübten Geschäftspartnern von anderswo die besten Vertragsabschlüsse abringen. Ob Hitze milde macht? Der Saunabesuch gehört zu jeder Jahreszeit zu Finnland, ist Ausdruck nordeuropäischen Lebensgefühls. Das geht so weit, dass manche Zimmer teurer Hotels mit Privatsauna ausgestattet sind – und Ferienhäuser sowieso. Eher wäre zu verkraften, dass der Architekt die Fenster vergessen, als dass er keine Sauna eingeplant hätte.
Keiner in Finnland käme auf die Idee, Regeln für den Saunabesuch aufzustellen: zweimal für fünf Minuten hundert Grad, dazwischen vier Minuten Pause, danach eine kalte Dusche, dann nochmal hundert Grad. Finnen würden irritiert mit den nackten Schultern zucken. Sie folgen nur einer einzigen Saunaregel, die denkbar einfach ist: jedem das, was ihm gefällt. So heiß wie er will. So lange wie er will. Niemand muss sich oder anderen etwas beweisen und den ultimativen Härtetest bestehen. Wer den Saunaofen nicht höher als auf achtzig Grad einstellen will: okay. Wer auf die Klapse mit eingeweichten Birkenruten verzichten will: okay. Wer hohe Luftfeuchtigkeit nicht mag und daher keine Extrakelle Wasser über die heißen Steine gießen will: auch okay. Niemand käme auf die Idee, nachzufragen oder zu belehren. Man saunt in Finnland für sich selbst und nicht, um Regeln zu erfüllen.
Ziel ist es, dem Körper etwas Gutes zu tun, ohne ihn allzu sehr zu strapazieren. Die Hitze weckt vor allem im Winter die Lebensgeister wieder, reinigt den Leib porentief – und oft die Seele gleich mit. Anderswo schwitzt der einfache Mensch, während der vornehme transpiriert – hier sind alle gleich.
Über eine Million Saunas soll es allein in Finnland geben – eine pro fünf Einwohner. Ein finnisches Sprichwort besagt, dass man sich in der Sauna so anständig zu betragen habe wie in der Kirche, doch ein Bier dürfe man mit in die heiße Hütte nehmen. Saunagänge im Norden sind gesellig – und es kommt vor, dass eine vergnügte Schwitzgemeinschaft Würstchen auf dem Saunaofen grillt.
Undenkbar wäre für Finnen, in eine gemischte Sauna zu gehen. So freizügig der Norden ist, so streng saunt man nach Geschlechtern getrennt. Traditionell gehen erst die Männer ins Hitzebad, danach die Frauen, während der letzte Aufguss dem »Saunageist« vorbehalten ist. Wehe dem, der dann das Holzhäuschen betritt und den Geist stört …
Glaubt man der Überlieferung, dann begann alles mit Erdgruben, in deren Mitte Steine erhitzt wurden. Daraus entwickelte sich später die Rauchsauna, die schon vor Jahrhunderten von den Völkern genutzt worden sein soll, die aus Osten kommend ins heutige Finnland einwanderten und sich dort niederließen. Die Ofensauna in der heutigen Form ist erst etwa zweihundert bis dreihundert Jahre alt. Dabei werden Steine in einem ursprünglich mit Holz befeuerten Ofen erhitzt.
Weitere Kostenlose Bücher