Lesereise Finnland
fast im Konvoi an, fahren von hier aus weiter nach St. Petersburg, nach Tallinn und Stockholm. Auch die Ausflugsdampfer zu den vorgelagerten Schäreninseln und Richtung Festungsinsel Suomenlinna sind vollbesetzt. Die Menschen an Bord recken ihre Gesichter der kräftig bräunenden Sonne entgegen.
Wer Zeit hat, fährt zum Picknick hinaus auf die Inseln, sonnt sich auf den von Wind und Wetter glattgeschliffenen Klippen oder in winzigen Strandbuchten. Das Bad in der gerade mal sechzehn Grad warmen Ostsee bleibt nicht mehr nur den Tapferen vorbehalten. Plötzlich traut sich jeder hinein. Sonne macht Mut, auch wenn sich die Wassertemperaturen noch kaum geändert haben.
Im Jachtklub der Hauptstadt, der sieben Monate eines jeden Jahres fast verwaist ist, herrscht plötzlich gesellschaftlicher Trubel. Vor ein paar Wochen erst wurden die Liegeplätze wie jedes Jahr unter den Bootseignern neu verlost. Finnische Gleichberechtigung mit Schicksalskomponente.
Und auch auf dem Stadtsee Töölönlahti hinter der weltberühmten Finlandia-Halle Alvar Aaltos sind die weißen Segel gesetzt – nur sind es hier die der Boote kleiner Jungs. Vom Ufer aus dirigieren sie mit Steuerknüppel und langer Antenne per Fernbedienung das Geschehen. Abends ist der Nachwuchs aus dem Stadtbild verschwunden – trotz tagheller Nächte. Keine finnische Mutter lässt sich hereinlegen, wenn ihre Kinder fragen, ob sie heute aufbleiben und draußen spielen dürfen, bis es dunkel wird …
Unterhalb des Diplomatenviertels Kaivopuisto wuchten vollzählig angetretene Familien ihre Wohnzimmerteppiche mit vereinten Kräften, lassen sie ins seichte Ostseewasser plumpsen und spülen das Winterdreivierteljahr vom Fußbodenbelag. Auf dafür errichteten Holzplattformen am Ostseeufer werden im Sommer bei Volksfeststimmung Teppiche gewaschen. Tauchen irgendwann im Mai die ersten mit ihren zusammengerollten Läufern dort auf, dann kann der Sommer nicht mehr weit sein. Und der Rausch der Lebensfreude beginnt.
Achthundertfünfundzwanzigtausend Tassen Kaffee auf See
Per Schiff nach Finnland
Das Hotel von Otto Ikonen ist auf keiner Landkarte zu finden. Einundneunzigtausend Pferdestärken schieben es nach festem Fahrplan zwischen Finnland und Deutschland hin und her. Der Mann mit der unauffälligen Brille ist Herr über sechzehnhundert Betten. Seine schwimmende Herberge hat Helsinki als Heimathafen und ist stets nur für ein paar Stunden dort. Ihr eigentliches Zuhause ist die Ostsee.
Ikonen – »residiert« wäre zu viel gesagt – hockt in einem kleinen Büro neben dem Informationsschalter auf Deck Vier der Finnjet. Von hier aus koordiniert er als Hoteldirektor das tagtägliche und nachtnächtliche Geschehen hinter den Kulissen der Riesenfähre, die seit 1977 im Dienst ist und als so etwas wie die »Queen Mum« unter den Ostsee-Passagierschiffen gilt. Per Telefon, Fax und Computer muss er zum Beispiel dafür sorgen, dass während der Hochsaison exakt hundertsechzig Putzfrauen jedes Mal pünktlich am Kai bereitstehen, um das Schiff binnen der nur fünfundsiebzigminütigen Liegezeit wieder auf Hochglanz zu bringen und jene tausendsechshundertundzwei Betten frisch zu beziehen.
Tonnenweise Laken verlassen das Schiff dann in Minuten. Frische Bettbezüge werden herangeschafft, neue Lebensmittel an Bord genommen. In Rostock sind das Obst, Gemüse, Brot und deutsche Mayonnaise. Fast alles andere kommt aus Helsinki. Und damit es besonders schnell geht, werden Container als begehbare Kühlschränke über Kräne von seitwärts an Bord gehievt und direkt an die Küche angedockt. Passagiere bekommen davon nur wenig mit. Zur selben Zeit sind bereits zweiundzwanzig Finnen von der Kaltmamsell bis zum Chefkoch dabei, die kulinarischen Köstlichkeiten der Bordrestaurants vorzubereiten. Zweihundert Kilo Lachs und ebensoviel Rentierfleisch werden zur Einstimmung auf Finnland pro Fahrt vertilgt – auf dem Rückweg genauso viel. Wahrscheinlich, um den Trennungsschmerz zu verringern. Überhaupt liest sich die Liste des Bordverbrauchs wie das Buch der Rekorde: Achthundertfünfundzwanzigtausend Tassen Kaffee, dreihundertfünfundachtzigtausend Cocktails, dreihundertzehntausend Liter Bier, einundsechzigtausend Kilo Fleisch und fünfzigtausend Rollen Toilettenpapier pro Jahr, dazu zweihundertfünfzigtausend Liter Frischwasser pro Fahrt.
Otto Ikonen sorgt stets für den nötigen Nachschub – und er runzelt die Stirn, wenn es jemand wagt, vorlaut von seiner Finnjet als »Fährschiff« zu
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