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Lesereise Finnland

Lesereise Finnland

Titel: Lesereise Finnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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Finnlandurlauber ihre wichtigsten Habseligkeiten für die Überfahrt zusammen – Zahnbürste und Rasierer, Kamm und Fotoapparat, denn vom Ablegen bis kurz vors Festmachen im Katajanokka-Hafen Helsinkis werden die Autodecks verschlossen sein. Zur selben Zeit verlassen hundertsechzig Putzfrauen das Schiff.
    Die Fährüberfahrt hat obendrein Lehrwert. In den mehrsprachigen Borddurchsagen tauchen ständig die finnischen Zahlen auf, und beim Überprüfen all der Ansagen und Hinweise lernen Finnlandneulinge, mit den Knien zu zählen: beim immerwährenden Treppensteigen von durchnummeriertem Deck zu durchnummeriertem Deck, von kaksi nach viisi, von kuusi nach kahdeksan. Oder so.
    Inzwischen ist die Finnjet Geschichte: 2005 verkauft, erst in die USA, dann nach Italien, nach Saudi-Arabien, schließlich im Juni 2008 zur Verschrottung nach Indien. Für zahllose Finnlandfahrer »lebt« sie in den Reiseerinnerungen weiter. Genau wie für denjenigen, der ihr so viele Jahre lang das Leben erst eingehaucht hat: Otto Ikonen.

Eliel Saarinens Vermächtnis
Düstere Cinderella-Schlösser aus Ostsee-Granit:
der Baustil der finnischen Nationalromantik und sein spukender Erfinder
    »Es spukt hier.« Sie sagt es so sachlich und bestimmt, als ginge es darum, die korrekte Uhrzeit zu nennen. Sie spricht, ohne den Augenausdruck zu verändern, ohne mit der Wimper zu zucken. »Nachts zieht er durch die Gänge seiner Residenz.« Nicht im klischeebehafteten weißen Gewand mit Sehschlitz und Rasselkette am Fuß sei er unterwegs, sondern als kleine Lichtgestalt. Wieder verzieht sie keine Miene: »Er schwebt zentimeterhoch über dem Boden und ist dabei völlig lautlos«. Eliel Saarinen, verstorben 1950 und zu Lebzeiten einer der bedeutendsten finnischen Architekten, kann von seinem einstigen Wohn- und Atelierhaus vor den Toren Helsinkis offenbar nicht lassen und kehrt über ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod noch regelmäßig nach Hvitträsk zurück. Heute ist das Anwesen zum Museum umgestaltet, das an ihn und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts geborenen Stil der Finnischen Nationalromantik erinnern soll.
    Saarinen ist einer der Väter dieser nordischen Ausprägung des Jugendstils, bei der Holz und Stein, ländliche Elemente und Großstadtarchitektur, Blockhäuser und Burgen miteinander verschmolzen sind. Verspielt war dieser Stil, verkitscht sagen manche. Besonders Übelmeinende behaupten sogar, Saarinen habe Cinderella-Schlösser im Disneyland-Stil erbaut, lange bevor Walt Disney sie erdacht habe. Und aus Versehen habe er immer wieder die Kellerräume seiner Schlösser über der Erde errichtet und den Bauten dadurch ein allzu trutzburghaftes Aussehen beschert, so dass er anschließend Erker und Türmchen anmontieren musste, um ihnen ein freundlicheres Gesicht zu geben. So umstritten die Nationalromantik ist – so viele Spuren hat sie vor allem in Helsinki hinterlassen. Eliel Saarinens Vermächtnis ist im Straßenbild unübersehbar.
    Gemeinsam mit Armas Lindgren und Hermann Gesellius prägte er das architektonische Gesicht der Hauptstadt. Zusammen mit ihnen realisierte er erst unter anderem das Nationalmuseum an der Mannerheimintie im Zentrum, später in eigener Regie den monumentalen Hauptbahnhof, der von grimmig blickenden steinernen Titanen an der Fassade bewacht wird.
    Saarinen und seine Mitstreiter verfolgten in ihrem Werk drei Ziele: Stets wollten sie die Landschaft der Umgebung in möglichst vollendeter Harmonie in den Bau einbeziehen, Architektur und Natur verschmelzen. Zum anderen wollten sie eine neue, nunmehr finnische Formensprache entwickeln und die bis dato dominanten russischen Einflüsse hinter sich lassen. Der dritte Grundsatz ist Schuld an Erkern, Türmchen, Trutzburgen und mancher Verbrämung, die Fremde nicht entschlüsseln können: Die Nationalromantiker zwangen sich, ihre künstlerische Inspiration in Finnlands Nationalepos »Kalevala« zu finden.
    Die weißhaarige Museumsführerin lässt sich ihre Ehrfurcht vor Saarinen und seinem vermeintlichen Geist bei jedem Schritt durch die einstigen Privat- und Arbeitsräume des Architekten in Hvitträsk oberhalb des gleichnamigen Sees anmerken. »Einmal«, sagt sie wieder ohne unterstreichende Gestik und ohne die Stimme zu heben, »einmal habe ich selbst sogar den spukenden Saarinen gesehen.« Das zweifelnd-mitleidige Lächeln der Umstehenden scheint sie zu übersehen, geht auf skeptische Rückfragen nur zögerlich ein und überhört spöttelnde Bemerkungen geflissentlich. Die alte

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