Lesereise Finnland
Dame mit dem rollenden R in ihren Erläuterungen gibt sich unergründlich und lässt niemanden hinter ihre seriöse Fassade blicken. Frühmorgens sei es gewesen, als sie in den Wohnraum gekommen sei, in dem noch die von ihm selbst entworfenen Ledersessel stehen. Da habe er sie angestarrt und sei am Kamin vorbei durch die gegenüberliegende Tür Richtung Treppenhaus davongeschwebt.
Glaubt sie ihr eigenes Spukgerede oder streut sie bloß publikumswirksame Legenden? Nur sie selbst wird es wissen. Ihre Besuchergruppe aber schreitet noch ein wenig andächtiger, aufmerksamer und vorsichtiger durch Saarinens Atelierhaus und horcht auf jedes Knirschen und Knacken der über hundert Jahre alten Holzbohlen des blankgebohnerten Fußbodens, versucht unbewusst in jeden Lichtstrahl und jede Spiegelung huschende Konturen hineinzusehen …
In den Jahren 1902 bis 1904 entstand Hvitträsk. Jeder der drei führenden Nationalromantikarchitekten entwarf dort sein eigenes Haus nach individuellen und vielfach romantisch verklärten Vorstellungen. Der größte erhaltene Komplex stammt von Saarinen. Von Gesellius’ Haus sind nur noch die Außenwände unverändert geblieben, der gesamte Innenraum wurde umgebaut. Lindgrens Heim brannte 1922 nach einem Blitzeinschlag ab. Saarinen bebaute die Fläche später nach eigenen Entwürfen neu. Er war es auch, der als letzter des Trios Hvitträsk verließ. 1923 wanderte Eliel Saarinen in die USA aus.
Ein Mix aus Kuppeln, Gewölben und Rundungen, aus Holz und Fliesen, aus Wandmalereien und Deckenornamenten ist in den Bauten von Hvitträsk zusammengeflossen und gibt ihnen das für die Nationalromantik typische Gesicht. Mit der Kombination der Baustoffe Holz und grob behauener Stein fügen sie sich in die umliegende Fels-, Wald- und Seenlandschaft ein. Festungsartig wirkt das Anwesen – mal wie eine mittelalterliche Rheinburg, dann aus einem anderen Blickwinkel wie ein nordamerikanisches Fort, aus wieder anderer Perspektive unerwartet klein und gemütlich wie eine Waldhütte. Das Architektentrio treibt sein Spiel mit den Betrachtern.
In den Glanzzeiten des märchenhaft-verwunschenen Bauwerks mit seinen innen wie außen ungezählten architektonischen Feinheiten gingen hier Maxim Gorki, Gustav Mahler und der finnische Jugendstilkünstler Akseli Gallén-Kallela ein und aus. Das Atelier der erfolgreichen Architekten galt als Treffpunkt vieler Intellektueller Nordeuropas.
So gigantisch der Hauptbahnhof ausfiel, so zurückhaltend gab sich Saarinen bei der Planung des eigenen Wohnbereichs von Hvitträsk. Immer wieder müssen sich die Besucher heute gebückt durch ebenso niedrige wie schmale Türrahmen zwängen, sich wundern über tief angebrachte Waschbecken, niedrige Decken und den geringen Stufenabstand auf den vielen Treppen. Verschachtelt führen sie in immer neue Raumfluchten hinein. Saarinen hat das Haus exakt auf seine Körpergröße hin geplant. Er wollte so seine Kleinwüchsigkeit kaschieren.
Am späten Nachmittag fällt das Sonnenlicht verzerrt vom Geäst der Bäume durch große Sprossenfenster in die Museumsräume von Hvitträsk und leuchtet sie geheimnisvoll aus. Kacheln und Lampen reflektieren die Strahlen und schicken sie kreuz und quer durch die Räume. Und während einige Besucher noch beisammen in der Ecke eines Raumes stehen und über die Gespräche im großen Freundeskreis Saarinens von Gallén-Kallela bis Gorki nachsinnen, wird Spuk in diesem merkwürdigen Licht und in der andächtigen Stille plötzlich vorstellbar.
Die Museumsführerin zischt einmal kurz durch die Zähne und legt den Zeigefinger auf den Mund: leise! Alle horchen in die Stille des um diese Zeit fast menschenleeren Museums. Sie springt einen schnellen Schritt nach vorn, begleitet von einer ruckartigen Handbewegung, und macht ein ploppendes Geräusch mit den Lippen. Alle Umstehenden zucken zusammen. Sie lacht. »Spuk«, sagt sie und zuckt mit den Schultern.
Jeder Windhauch eines Wortes
Im Hundeschlitten durch die Winterwälder von Finnisch-Lappland
Als ob jemand mit den Fingernägeln über eine Schiefertafel kratzte. Ein widerliches Geräusch zerreißt die Stille – das Ächzen von Metall, das übers Eis gezogen wird, das Quietschen von zerrenden Eisenzacken im steifgefrorenen Boden. Mit vollem Körpergewicht stemmt sich Hundeschlittenführer Reijo Järvinen auf die Metallbremse zwischen den Kufen seines Schlittens. Er versucht sie so fest wie nur möglich in den schneebedeckten, gefrorenen Boden zu treten, um ein
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